Funktionen

Studienseminar

Das Studienseminar ermöglicht es den Studierenden vollständig in die Erlebniswelt einer Lehrkraft und das soziale Gefüge der jeweiligen Schule einzutauchen. Dabei werden essenzielle Kompetenzen, Werte und Kenntnisse für die spätere Tätigkeit als Lehrkraft aufgebaut und verfeinert.
Im folgenden Interview geben Felix Naglik und Helga Henzel (Bild rechts) interessante Einblicke in die Bedeutung sowie die Aufgaben des Mentorings während des Studienseminars und gehen auf die dazugehörigen Professionalisierungsprozesse und Verbesserungspotenziale ein.
Was verbindet Sie mit der Marburger Lehrkräftebildung?
Helga Henzel: Zunächst einmal sehr viel Biographisches – ich habe in Marburg studiert und das erste Staatsexamen gemacht, das Referendariat am Seminar (damals noch mit Standort Cappel) absolviert und in Kirchhain an der AWS gearbeitet (bis heute). Daneben hat mir aber auch bereits in meinem eigenen Referendariat die Grundhaltung vieler (nicht aller!) Ausbilder*innen und auch der damaligen Leitung, mit uns Referendar*innen freundlich, manchmal sogar auf Augenhöhe umzugehen, gefallen. Pädagogisch sahen sich einige Lehrende damals (Mitte der 90iger Jahre) in der Tradition von Klafki, Klippert und Co. Das hat mich angesprochen und das Referendariat als insgesamt positiv erleben lassen. Das Prinzip des erweiterten Lernbegriffs als eine Kernidee, die ich dort kennenlernte, prägt bis heute meinen eigenen Unterricht. Nach dem Referendariat war ich schnell selbst in der Rolle einer Mentorin, sodass ich auf diese Weise nach wie vor Kontakt zur Ausbildung hatte. Einige Jahre danach habe ich drei Semester an der Universität im Fachbereich Englisch das zweite Praktikum (SPSII) betreut, bis ich schließlich ab 2007 am Studienseminar als Ausbilderin zu arbeiten begann.
Felix Naglik: Mich verbindet mit der Marburger Lehrkräftebildung die Tätigkeit am Studienseminar für Gymnasien als Fachleiter für die Ausbildungsbereiche Deutsch und Die Lehr- und Lernkultur im Unterrichtsfach innovativ gestalten. Dabei findet die Ausbildung für die LiV (Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst) an einem Ausbildungstag am Studienseminar in Marburg in Modulveranstaltungen statt, an den anderen Tagen an deren Ausbildungsschule (eine von zwölf Schulen zwischen Biedenkopf, Gladenbach, Korbach und Schwalmstadt); anfangs als Unterrichtshospitation, anschließend als eigenständiger Unterricht. Hierbei begleite ich die LiV in zwei Unterrichtsbesuchen pro Modulveranstaltung, berate sie bezüglich der Planung, Durchführung und Reflexion.
Mentorinnen und Mentoren spielen auch in der zweiten Phase der Lehrerkräftebildung eine zentrale Rolle. Welche Aufgabe und Funktion bzw. Bedeutung haben sie in diesem Ausbildungsabschnitt?
Die Mentor*innen der LiV haben eine essentielle Bedeutung: Sie sind es, die die LiV als berufserfahrene Lehrkräfte bei der Umsetzung ihres Theoriewissens in die Unterrichtspraxis am engsten begleiten, um Lehr- und Lernprozesse gewinnbringend(er) zu gestalten, indem die jeweilige „Zone der nächsten Entwicklung“ in den Fokus rückt. Damit tragen die Lehrkräfte im Mentoring auch dazu bei, die Herausforderungen stetigen Wandels in der Gesellschaft gemeinsam zu gestalten und Schule im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung weiterzuentwickeln, damit Lernende, Lehrende und Schulstrukturen von heute mit den Mitteln von heute auf ein unbestimmtes Morgen bestmöglich vorbereitet werden. Dazu bedarf es professioneller Lehrkräfte und deren persönlicher Bereitschaft, den sich verändernden Bedingungen aufgeschlossen und aktiv zu begegnen, und lernförderlicher Mentoringstrukturen. Dann können die Mentor*innen die professionelle Entwicklung der LiV unterstützen, indem sie in Mentoringgesprächen konkrete Rückmeldungen geben, (ko)konstruktive Reflexion fördern und lernförderliche Professionalisierungsschritte eröffnen.
Dabei ist die Beziehung zwischen LiV und Mentor*in im Unterschied zur Arbeit mit den Ausbilder*innen nicht durch Noten beeinflusst, sodass sich keine Abhängigkeitsverhältnisse durch Bewertungssituationen ergeben, sondern sich bewertungsfreie Begleitung und Beratung im Alltag zu entwickeln vermag. So vernetzen sich individuelle Ausbildungs- und Berufserfahrungsstände im Idealfall zu einer professionellen Lerngemeinschaft, die sowohl die LiV als auch die Mentor*innen bereichert.
Worin sehen Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Mentoring in der ersten und zweiten Phase der Lehrkräftebildung?
Felix Naglik: Eine Überschneidung ist das Engagement für Unterrichtsqualität. Dabei liegt der Akzent der ersten Phase und des Anfangs der zweiten Phase – also am Übergang von theoriefokussiertem Universitätsstudium zu reflektierter Unterrichtspraxis – zunächst eher auf Unterrichtshospitationen und angeleitetem Unterrichten, sukzessive verschiebt sich dieser Akzent in der zweiten Phase von Anleitung zu Beratung. Dabei sind die Mentor*innen vielfach solidarisch und stärkenorientiert, vermitteln warme Atmosphäre in der Ausbildung, teilen professionelles Fach- und Erfahrungswissen, vermitteln Zugang zu ihren Arbeitsnetzwerken. Indem die Mentor*innen als kritisch-konstruktive Motivator*innen und Lernbegleiter*innen der LiV agieren, die Professionalität, Qualitätsbewusstsein und Reflexionskompetenz ausstrahlen und anregen, aber auch Autonomie und Freude am Ausprobieren verkörpern, stärken sie die LiV, zu reflektierenden Praktiker*innen hinsichtlich schulischer Lehr- und Lernprozesse zu werden.
Helga Henzel: „Das Mentoring der ersten Phase dient vor allem dazu, Student*innen dabei zu begleiten, sich selbst – ohne Bewertungsdruck – in der neuen Rolle als Lehrkraft zu erleben sowie in Schule als soziales Geflecht mit all seinen komplexen Herausforderungen sowie den spezifischen Abläufen im Schuljahr einzutauchen. Wie viel fachdidaktische und pädagogisch (tiefe) Diskussion, Arbeit und Zugewinn in dieser Zeit miteinander erlebt werden kann, hängt sehr stark von der einzelnen Praktikant*in ab und deren/dessen Grundhaltung (Ernsthaftigkeit vs. „da geh ich halt mal hin“) einerseits und der jeweiligen Betreuung vor Ort andererseits ab.
Das Mentoring in der zweiten Phase ist m.M.n. insofern deutlich komplexer, als die Zeit des Referendariats für viele LiV unter dem Zeichen von Stress, hoher Arbeitsbelastung und vor allem permanenter Benotung steht. Hier kann weniger entspannt gemeinsam entwickelt werden, es stehen konkrete Überprüfungen (UBs) an und es gibt wenig Vorlauf bis zum Einstieg in das Unterrichten eigener Lerngruppen. Deshalb gilt es hier vor allem, auch unter diesen veränderten Arbeits- und Lernbedingungen, die Rollen und Zuständigkeitsbereiche klar abzusprechen (siehe nächste Frage). Manche Menschen arbeiten extrem kurzfristig unter Stress, andere sind gut organisiert und können leichter Rahmenbedingungen schaffen, um mit der/dem Mentor*in die Planung durchzusprechen. Auch das Ankommen in der neuen Rolle als Lehrkraft, die benotet, sanktioniert, bewertet, berät ist für Viele sehr herausfordernd und wird unterschiedlich verarbeitet.
Was erscheint Ihnen wichtig, um Lehrkräfte als Mentorinnen und Mentoren zu professionalisieren?
Felix Naglik: So vielfältig wie die Bedarfe an Begleitung seitens der LiV sind, so vielfältig sind die Anforderungen an Kompetenzen seitens der Mentor*innen. Mithin haben Mentor*innen in der Lehrkräfteausbildung kein klar abgegrenztes Anforderungs- bzw. Professionalisierungsprofil. Dennoch scheinen einige Aspekte in Bezug auf das Mentoring besonders bedeutsam: Kooperations- und Kommunikationskompetenz, Kontinuität im Mentoringprozess und Kriterienorientierung. Hilfreich ist, wenn die Mentor*innen die Ausbildungsanforderungen als Bezugsnorm der LiV kennen, da sich die Anforderungen an die Kompetenzprogression der LiV sukzessive steigern, sodass sich die Entwicklung des Mentoringprozesses und die Entwicklung der LiV im Idealfall begünstigen. Daher bietet das Studienseminar einen Rahmen entsprechender Professionalisierungsangebote: ganztägige Mentorentage am Studienseminar, halbtägige Mentorennachmittage an Schulen, Mentorenteilnahme in Modulveranstaltungen sowie dem Arbeitskreis Mentoring, der auf Anregung der Mentor*innen zentrale Arbeitsfelder fokussiert und (weiter)entwickelt, beispielsweise entstand der Leitfaden „Miteinander über das Mentorat sprechen. Impulse zur individuellen Vorbereitung auf ein Erstgespräch zwischen LiV und Mentor*in“ in diesem Kontext.
Derzeit erarbeitet der Arbeitskreis Mentoring eine Handreichung zu den verbindlichen Kopplungen, die das Hessische Lehrerbildungsgesetz ab 2022 (HLbGDV 2022, § 43) vorsieht. Dabei sind die Mitglieder das Arbeitskreises Mentoring auch Multiplikator*innen für die Arbeitsergebnisse, die die gemeinsame Arbeit zwischen Seminar und Ausbildungsschulen vertiefen und weiterentwickeln. Die Wirkungen auf die Mikroebene des Mentorings sind vielfach deutlich wahrnehmbar: ausgeprägtere Rollenklarheit und Selbstvertrauen als Mentor*in, aktivere Partizipation an den Reflexionsgesprächen nach Unterrichtsbesuchen etc. stärken die Lernprogression der LiV und die Selbstwirksamkeit der Mentor*innen.
Helga Henzel: Wichtig erscheint mir als Grundlage einer zielführenden Begleitung die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle, die Erwartungen der LiV an mich als Mentor*in und die Kommunikationsmöglichkeiten in diesem Rahmen (siehe unser Papier zum „Erstgespräch“). Gerade eine klare wertschätzende Kommunikation kann sehr helfen, sich auf einen guten Weg in der gemeinsamen Arbeit in dieser Zeit zu machen. Daneben halte ich Fortbildungsangebote, Reflexionsmöglichkeiten (unter den Mentor*innen), aber auch mit LiV und Ausbilder*innen gemeinsam für essentiell.
Wir Ausbilder*innen erleben an vielen Schulen, dass oft der gleiche Kreis von Kolleg*innen immer wieder über Jahre LiV betreut – zum Teil von Schulleitungen dazu aufgefordert werden, weil es an anderen Stellen zu Konflikten kommt / in manchen Nebenfächern nur wenige Kolleg*innen die Fachschaft ausmachen. Hier sollte an einer stärkeren Öffnung gearbeitet werden – Mentor*innen dürfen auch mal Nein zu einer Betreuung sagen, wenn sie merken, dass sie die Rolle – aus welchen Gründen auch immer – in diesem Fall nicht zielführend ausführen können – auch das gehört zu einer professionellen Haltung als Mentor*in.
Wichtig erscheint mir als Grundlage einer zielführenden Begleitung die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle, die Erwartungen der LiV an mich als Mentor*in und die Kommunikationsmöglichkeiten in diesem Rahmen (siehe unser Papier zum „Erstgespräch“). Gerade eine klare wertschätzende Kommunikation kann sehr helfen, sich auf einen guten Weg in der gemeinsamen Arbeit in dieser Zeit zu machen. Daneben halte ich Fortbildungsangebote, Reflexionsmöglichkeiten (unter den Mentor*innen), aber auch mit LiV und Ausbilder*innen gemeinsam für essentiell.
Wir Ausbilder*innen erleben an vielen Schulen, dass oft der gleiche Kreis von Kolleg*innen immer wieder über Jahre LiV betreut – zum Teil von Schulleitungen dazu aufgefordert werden, weil es an anderen Stellen zu Konflikten kommt / in manchen Nebenfächern nur wenige Kolleg*innen die Fachschaft ausmachen. Hier sollte an einer stärkeren Öffnung gearbeitet werden – Mentor*innen dürfen auch mal Nein zu einer Betreuung sagen, wenn sie merken, dass sie die Rolle – aus welchen Gründen auch immer – in diesem Fall nicht zielführend ausführen können – auch das gehört zu einer professionellen Haltung als Mentor*in.
Und zum Schluss: Haben Sie einen „heißen Tipp“ zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema „Mentoring“? Das kann ein Buch, ein Aufsatz, ein Film, ein Interview etc. sein.
Lehrkräfteausbildung und Mentoring brauchen Beziehungspflege – daher: Schauen Sie im Studienseminar anlässlich eines Mentorentages oder des Arbeitskreises Mentoring persönlich, auf der Seminarhomepage unter der Rubrik „Mentoren“ (https://sts-gym-marburg.bildung.hessen.de/mentoren/index.html) virtuell vorbei oder sprechen Sie in Ihrer Schule oder Ihrem Seminar mit uns über Lehrkräfteausbildung und Mentoring. So oder so, wir freuen uns, mit Ihnen die Lehrkräfteausbildung im Raum Marburg zu gestalten.

Weitere Informationen:

Kontaktdaten:

Tel.: 06421 / 616 - 469
E-Mail:  Poststelle.STS-GYM.MR@kultus.hessen.de  


Bisher wurde noch kein Kommentar abgegeben.