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Praxisphasen im Lehramtsstudium: Erwartungen und Einstellungen von Studierenden

Die Praxisphasen bilden einen wichtigen Baustein des Lehramtsstudiums. Hierbei findet ein Wechsel von der Lernenden- hin zur Lehrendenperspektive statt. Dieser Prozess ist mit vielseitigen Herausforderungen, Erwartungen und Potenzialen verbunden.
Im folgenden Interview gibt Dominique Roitzsch-Pröhl (Bild rechts) einen Einblick in die Einstellungen Studierender gegenüber den Praxisphasen und in die Lern- und Entwicklungsprozesse der Studierenden. Zugleich erläutert sie, welche Rolle Mentorinnen und Mentoren in diesem Prozess einnehmen.
  
Was verbindet Sie mit der Lehrerbildung an der Philipps-Universität Marburg?
Ich bin bereits seit 2016 im Projekt ProPraxis an der Philipps-Universität Marburg tätig. In meiner damaligen Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin habe ich das Konzept der professionsbezogenen Beratung mitentwickelt. Seit Februar 2019 bin ich als Referentin für professionsbezogene Beratung tätig und entwickle Angebote zur Unterstützung und Begleitung von angehenden Lehrkräften gemeinsam mit einem Team aus Psychologinnen und Psychologen weiter und führe diese durch.
Schulpraktika und Praxissemester sollen die Professionalisierung angehender Lehrerinnen und Lehrer fördern. In Marburg konkretisiert sich diese Vorstellung in dem Konzept einer reflektierten Fachlichkeit. Was erhoffen sich denn aus Ihrer Sicht die Studierenden selbst von den Praxisphasen?
Für den Großteil der Studierenden sind die Praxisphasen im Studium die erste Begegnung mit einem Schulalltag, den sie nicht aus ihrer ehemaligen Perspektive als Schüler oder Schülerin erleben. Daher steht für die meisten Studierenden an oberster Stelle, herauszufinden, ob ihre Vorstellungen vom Lehrberuf mit der Realität übereinstimmen. Im Zuge dessen wollen die Studierenden dann natürlich herausfinden, inwiefern sie mit ihren Kompetenzen, Einstellungen und Überzeugungen sowie ihrem Professionswissen den Anforderungen dieses neuen Berufsalltags gerecht werden können. Unserer Erfahrung nach sind die Themen, die die Studierenden im Zuge der Praxisphasen am meisten beschäftigen, die Vorbereitung und Durchführung von Unterricht, der Umgang mit den Schülerinnen und Schülern sowie der Umgang mit Belastungen und Stress.
Sind Ihnen in Ihrer Beratungsarbeit in diesem Kontext auch Sorgen oder Befürchtungen begegnet?
Ja, natürlich. Die Studierenden gehen in der Regel mit sehr viel Vorfreude und Spannung in ihr achtwöchiges Blockpraktikum. Damit verbunden sind aber auch eine große Ungewissheit und Unsicherheit vor dem, was sie erwartet. Da das Praktikum eine sehr individuelle Erfahrung ist, sind auch die Sorgen und Befürchtungen sehr unterschiedlich. Aber es gibt auch hier drei Aspekte, die immer wieder von den Studierenden genannt werden. Bei der Unterrichtsvorbereitung befürchten die meisten Studierenden, nicht genügend Zeit zu haben und erwarten ein höheres Maß an physischer und psychischer Belastung. Diese Angst ist oft verbunden mit dem stressverstärkenden Gedankenmuster des Perfektionismus: der Unterricht muss perfekt vorbereitet sein und dann kann auch nichts schiefgehen. Eine weitere große Angst der Studierenden ist nämlich, nicht genügend Fachwissen für den Unterricht parat zu haben und dadurch ggf. aufkommende Fragen der Schülerinnen und Schüler nicht beantworten zu können. Auf der anderen Seite wissen die Studierenden natürlich, dass das Agieren im Unterricht eine gewisse Flexibilität erfordert. Und hier zeigt sich eine weitere große Sorge der Studierenden: Wie trete ich vor der Klasse auf, um von den Schülerinnen und Schülern ernst genommen und respektiert zu werden? Eine der häufigsten Befürchtungen von Studierenden ist der Umgang mit sogenannten Unterrichtsstörungen.
Welche Lern- und Entwicklungsprozesse haben Sie bei Studierenden im bzw. im Anschluss an das Praktikum beobachten können?
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die meisten Studierenden im Rahmen des Praktikums eine Bestätigung ihres Wunsches, Lehrkraft zu werden, erhalten. Das geht dann auch damit einher, dass die meisten ihrer Sorgen, die sie im Vorfeld hatten, etwas abgebaut werden konnten. Die Studierenden gewinnen Sicherheit bei der Unterrichtsplanung aber auch im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern und bei der Präsentation vor der Klasse. Dazu tragen sowohl Erfolgserlebnisse bei, wenn alles so gelaufen ist wie geplant. Aber zusätzlich auch Situationen, die vielleicht anders gelaufen sind, als ursprünglich geplant, in denen die Studierenden aber merken, dass das gar nicht schlimm ist. In unserer Beratung legen wir einen besonderen Fokus auf die Themen Selbstregulation und Stressmanagement. Hier zeigt sich, dass die Studierenden durch die Herausforderungen, mit denen sie im Praktikum konfrontiert sind, in der Regel bereits selbstständig hilfreiche Strategien entwickeln. Ein sehr wichtiger Aspekt ist dabei das Zeitmanagement. Hier zählen das Anfertigen von To-Do-Listen, das Setzen von Teilzielen und das Bewusstmachen der Dauer von bestimmten Aufgaben zu den angewendeten Strategien. Ein anderer wichtiger Aspekt ist bspw. die Fähigkeit zur Erholung. Auch hier greifen die Studierenden bereits auf entsprechende Strategien zurück, wie Meditation oder andere Achtsamkeitsübungen, Sport und soziale Ressourcen, wie Freunde und Familie.
Wie kann das Wissen um Erwartungen und mögliche Unsicherheiten für die Gestaltung von Mentoring-Prozessen produktiv nutzbar gemacht werden?
Natürlich geht es im Praktikum darum, das im Studium bereits Gelernte zu reflektieren und die eigenen Kompetenzen zu entwickeln. Ich denke, für den Mentoring-Prozess kann es gewinnbringend sein, wenn man die Studierenden insbesondere in ihrem biographischen Prozess abholt. Wie bereits zu Anfang erwähnt, machen die Studierenden im Praktikum häufig zum ersten Mal die Erfahrung, wie Schule aus einer anderen Perspektive als der eines Schülers oder einer Schülerin ist. Sie befinden sich auf dem Weg von der Schülerin/dem Schüler hin zu einer angehenden Lehrkraft und sind dabei für den Moment des Praktikums in der Rolle der Studentin/des Studenten bzw. in der Rolle der Praktikantin/des Praktikanten. Das ist eine besondere Situation: Nicht mehr Schüler oder Schülerin zu sein, aber auch noch nicht Lehrkraft. Hierin steckt ein großer Teil der Unsicherheit der Studierenden, der einerseits mit Sorgen andererseits aber auch mit einem großen Lernpotential einhergeht. Genau in diesem Prozess kann es für die Studierenden hilfreich sein, sie dazu zu ermutigen, zu experimentieren, sich auszuprobieren und auch Fehler zu machen.
Vervollständigen Sie bitte aus Ihrer Perspektive den Satz: „Gutes Mentoring …“
... holt die Studierenden dort ab, wo sie stehen und begleitet bedürfnisorientiert auf dem individuellen Weg der Professionalisierung.
Und zum Schluss: Haben Sie einen „heißen Tipp“ zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema „Mentoring“? Das kann ein Buch, ein Aufsatz, ein Film, ein Interview etc. sein.
Ich finde ein toller Artikel zum Thema Selbstreflexion stammt von Christian Paulick. Ein Satz hat mir daraus besonders gut gefallen: „Selbstreflexionen erfordern Mut, denn sie implizieren das Einlassen auf Neues und das Hineinbegeben ins Ungewisse.“ (Paulick 2021: 165). Der Satz spiegelt sehr schön die Sorgen der Studierenden im Vorfeld ihrer Praxiserfahrungen wider und gleichzeitig verdeutlicht er, wie wertschätzend man diesen Themen begegnen sollte.

Literaturtipps:

Paulick, Christian (2021): Die Kunst der Irritation - Selbstreflexion in der Hochschullehre. Lindemann, Holger; Trumpa, Silke (Hrsg.): Hochschullehre: Systemisch? Theoretische und praktische Impulse für Didaktik und Methodik. Vandenhoeck & Ruprecht Verlag. Göttingen.

Weitere Informationen:

Kontaktdaten:

Dominique Roitzsch-Pröhl - Interviewpartnerin und ehemalige Mitarbeiterin des ZfL
E-Mail: dominique.roitzsch-proehl@uni-jena.de

Ansprechpartner*innen für Professionsbezogene Beratung:

Melanie Schwan
Tel.: 06421-28-23654
E-Mail:  zfl-beratung@uni-marburg.de
Carolin Reichwald
Tel.: 06421-28-26161
E-Mail: zfl-beratung@uni-marburg.de


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