Hessen (post)kolonial

Reiter

Kolonial-Frauenschule Witzenhausen

Die Kolonial-Frauenschule Witzenhausen war ein koloniales Weiterbildungsprojekt, welches von 1907 bis 1910 an die Kolonialschule Witzenhausen angegliedert war.

1 Geschichte

Den Anstoß zur Gründung gab dabei Professor Ernst Albert Fabarius. Dieser entwickelte spätestens 1907 die Idee einer Koloniale-Frauenschule, die an seine bereits bestehende Kolonialschule angegliedert werden könnte. Zur weiteren Verwirklichung traf er sich 1907 mit Helene von Falkenhausen und Friedrich Zimmer, die maßgeblich an der späteren Verwirklichung mitwirkten.

Am 30. November 1907 kam es zur Gründung des Vereins Frauen-Kolonialschule, der am 1. April 1908 die Eröffnung der ersten Kolonial-Frauenschule folgte.

Ganz nach den Plänen von Fabarius und Zimmer wurde bei der ersten Versammlung des Gründungsvereins das Konzept der Angliederung der neuen Schule an die Kolonialschule verwirklicht und Frau von Falkenhausen zur ersten Leiterin und Vorsitzenden des Vereins bestimmt. Der sechsköpfige geschäftsführende Ausschuss, der die Aufsicht über die Schule übernahm, bestand aus den Vorsitzenden Scheidt und Fabarius, Friedrich Zimmer und Paul Gelpcke, als Vertreter des Deutschen Frauenvereins für Krankenpflege in den Kolonien und Moritz Schanz als Sprecher für die Herzogin von Mecklenburg ernannt. Die einzige Frau, die in den Ausschuss gewählt wurde, war Marie von Loën, die den Verein Frauenbildung-Frauenstudium vertrat.

Am 6. Mai 1908 begann der Unterricht zunächst nur mit vier Schülerinnen und insgesamt kam die Schule bis 1910 nie über eine Anzahl von dreizehn Schülerinnen hinaus, was zu einer problematischen finanziellen Situation der Schule führte. Ein weiteres Problem war die Zuständigkeitshierarchie. Dieses Problem führte dazu, dass die erste Leiterin, Helene von Falkenhausen, zum 1. April 1909 ihre Stelle kündigte und die Schule verließ. Die Nachfolge trat Anna Gräfin von Zech an, die jedoch nur den Titel der „Hausdame“ erhielt, während Fabarius die offizielle Leitung fortan ausübte. Im August 1910 sah der Aufsichtsrat der Schule die Situation aufgrund der wachsenden finanziellen Probleme als aussichtslos an, woraufhin der Schulbetrieb zum 1. Oktober eingestellt wurde.

Ein Teil der Hoffnung auf das Gelingen des Projektes trotz des Scheiterns in Witzenhausen blieb jedoch bestehen. So sollte die Schule nun dem „Verein für wirtschaftliche Frauenschulen auf dem Lande“ angeschlossen werden. Die Leiterin des Vereins, Ida von Kortzfleisch, wurde mit der Zukunft der Kolonial-Frauenschule beauftragt und gründete 1911 eine neue koloniale Frauenschule in Bad Weilbach.

2 Organisation und Unterricht

Das Ziel der Schule war, Frauen für ein Leben in den Kolonien auszubilden. So sollten sie, neben der Möglichkeit als Stütze ihrer zukünftigen Ehemänner zu fungieren, auch als Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen und Krankenpflegerinnen tätig sein können oder sogar die Fähigkeit zum selbständigen Wirtschaften auf einer eigenen Farm durch Gartenbau, Kleinvieh- und Geflügelzucht erhalten.

Für die Aufnahme in der Frauenschule wurde außer körperlicher Gesundheit, Willens- und Tatkraft auch eine gute Bildung verlangt, wodurch sich die Schule von einfachen Haushaltsschulen abgrenzt.

Die Kosten der Frauenschule waren mit 1100 Mark hoch.. Dafür konnten sich die Schülerinnen ihren Lehrplan selbstständig gestalten. Dabei erstreckte sich das Angebot von Fächern der Kolonialschule auf praktischen Unterricht im Haushalt und praktischen und theoretischen Unterricht in Kranken-, Säuglings- und Kinderpflege und Kindergärtnerinnenunterricht. Beim Angebot der Fächer der Kolonialschule durften sie allgemeine Fächer, wie Kulturwissenschaften (Kulturgeschichte, Geografie, Völkerkunde und Kolonialgeschichte), Naturwissenschaften (Tier- und Pflanzenkunde, Ernährungslehre, Chemie, Tierheilkunde und Viehzucht), Tropengesundheitslehre und Sprachen besuchen. Auch wirtschaftliche Fächer, wie Landwirtschaft, Anbau und Pflege von Gemüse, Obst und Wein, Wasserwirtschaft und Buchführung konnten sie mitstudieren. Sogar im praktischen Unterricht in Viehzucht waren sie zugelassen und konnten dort Rinderhaltung, Milchverarbeitung und Pferdehaltung sowie Kleinviehzucht erlernen. Auch Fächer der sogenannten notwendigen Handfertigkeiten konnten sie besuchen, wobei sie Tischlerei, Löten und Tapezierarbeit und andere Hausreparaturarbeiten erlernten. Erstaunlicherweise wurde dabei für einen Teil der Fächer, die allesamt dem Bereich allgemeinbildende Fächer zugeordnet waren, eine Koedukation durchgeführt. In den wirtschaftlichen und technischen Fächern hingegen wurden separate Kurse angeboten.

Trotz der umfangreichen Möglichkeiten, Vorlesungen der Kolonialschule als Schülerin der Frauenschule zu besuchen, gab es auch Fächer, die die Schülerinnen nicht belegen durften. So waren die Bereiche Mineralogie, Geologie, Ackerbau, Fechten, Kolonialpolitik, Kolonialrecht, Sport und Schießen nicht im Lehrplan enthalten.

3 Quellen

  • Schanz, Moritz; Die Kolonial-Frauenschule, in: Der Deutsche Kulturpionier, 14, 1914, S. 55-78.
  • Stölten, Wilhelm, Friedrich Zimmer. Ein deutscher Volkserzieher, 2. Aufl., Berlin 1937.

4 Literatur

  • Harnisch, Elke, Christine Helen; Die progressive Etablierung kolonialen Wissens im Aus- und Weiterbildungssektor des Deutschen Reiches zwischen 1884 – 1914, Köln 2015.
  • Lerp, Dörte; Die Kolonialfrauenschulen in Witzenhausen und Bad Weilbach, Berlin 2006.
  • Rommel, Mechtild, Hulda Rautenberg, Die kolonialen Frauenschulen von 1908 - 1945, Witzenhausen a. d. Werra1983 (= Der Tropenlandwirt. Journal of agriculture in the tropics and subtropics. Beihefte, 16).
  • Siegle, Dorothea, „Trägerinnen echten Deutschtums“. Das Frauenbild an der Kolonialen Frauenschule Rendsburg (1927-1945), Hamburg 2002.
  • Smidt, Karen; „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“. Auswanderung, Leben und soziale Konflikte deutscher Frauen in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika 1884 - 1920. Eine sozial- und frauengeschichtliche Studie, Magdeburg 1995.

Zuletzt geändert: 16. Dez 2024, 12:23, Horstmeier, Philipp [horstmep]