Hessen (post)kolonial

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Pädagogik

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Pädagogik ist die Wissenschaft von Erziehung und Bildung.

1 Schulbücher

Die Darstellung des Kolonialismus in Schulbüchern vom Kaiserreich bis heute ist ein weites Feld. Grundsätzlich lassen sich Spuren der kolonialen Vergangenheit in Lehrwerken verschiedener Epochen und verschiedener Fächer finden, besonders oft gibt es Hinweise in Geografie- und Geschichtsbüchern. Unternimmt man den Versuch, Schulbücher zu suchen, die in mehr oder minder direkter Verbindung zu Hessen stehen, sieht man sich mit einer Schwierigkeit konfrontiert: Welche Indikatoren, abgesehen von - vergleichsweise schwer zu beschaffenden - Lehrplänen, versprechen valide Aussagen darüber, dass ein Schulbuch „hessisch“ ist?

Hier sollen zwei Beispiele für die Abbildung kolonialer Geschichte in Schulbüchern ausgeführt werden. Die Verbindung zu Hessen steckt jeweils im Ort der Veröffentlichung: Beide unten stehenden Karten stammen aus (Geschichts-)Lehrbüchern, die in Frankfurt verlegt wurden. Der Konzentration auf koloniale Karten liegt die These zugrunde, dass für die Darstellung des Kolonialismus in Schulbüchern gerade Karten eine besondere Bedeutung haben, weil zuerst sie einen der wichtigsten Aspekte des Kolonialismus in seiner Hochphase abbilden: das Streben nach territorialer Expansion.

Die beiden Beispiele stammen aus der „postkolonialen“ Zeit, namentlich aus Büchern der Jahre 1929 und 1941. Einerseits ist gerade bei der Untersuchung von Schulbüchern immer damit zu rechnen, dass sich historische Entwicklungen erst verspätet niederschlagen (dass also Ereignisse oder Themen von 1890 nicht oder wenigstens nicht zwingend in Schulbüchern auftauchen, die etwa 1895 gebräuchlich waren); andererseits verweist diese Quellengattung stärker als die meisten anderen auf die postkoloniale Erinnerung und Vereinnahmung des Kolonialismus für politische Ziele - liegt ihr als Mittel der Bildung und Erziehung doch per se ein Belehrungsauftrag zugrunde und bedingt die zeitliche Distanz doch einen besonderen Blick auf das (zu dem Zeitpunkt, da die Bücher erschienen, vergangene) Zeitalter des Kolonialismus.

Wie die Historikern Susanne Grindel festgestellt hat, verwenden die meisten deutschen Geschichtsbücher des 20. Jahrhunderts „eine in ihrem Aufbau unveränderte, fast schon klassisch zu nennende Karte Afrikas“[1] , wenn sie den Kolonialismus in seiner Hochphase darstellen. Diese Karte bildet Afrika um 1900 oder 1914 ab - also auf dem Höhepunkt des Wettlaufs der europäischen Staaten um die Vorherrschaft.

Eine derartige Karte findet sich in einem Weltgeschichtsbuch für die gymnasiale Oberstufe in der Weimarer Republik. Das Buch wurde in Frankfurt verlegt und (laut Einleitung) unter anderem auch an hessischen Schulen verwendet. Die Karte zeigt Afrika aufgeteilt in mehrere Einflusszonen, dabei quasi komplett (mit Ausnahme der Sahara) unter europäischer Kontrolle. Die Legende teilt den Kontinent unterdessen im Wesentlichen in vier Kategorien ein: neben dem deutschen Kolonialbesitz gibt es den französischen und den britischen - und „strittige Gebiete“. Grindel[2] bemerkt, das Buch nehme Deutschland so in den Kreis der beiden dominanten Kolonialmächte auf und lasse den deutschen „Besitz“ überdies durch die schwarze Färbung wichtiger erscheinen, als er politisch eigentlich war. Unter anderem diese beiden Beobachtungen verweisen auf ein dieser Karte durchaus inhärentes kolonialrevisionistisches Moment, das typisch für die 1920er (und auch für die 1930er) Jahre war (siehe dazu auch die Wiki-Seite zur Kolonialwarenausstellung in Frankfurt 1921).

Das zweite Beispiel findet sich in einem Geschichtsbuch, das 1941 in Frankfurt verlegt wurde. Es ist untertitelt mit „Die Aufteilung Afrikas (bis 1914)“ und dokumentiert neben einigen bereits genannten Faktoren auch die strategischen Interessen von Briten und Franzosen durch Pfeile. England erscheint unter anderem dort als kolonialer Aggressor, wo britische Pfeile direkt auf Deutsch-Ostafrika zielen und damit suggerieren, das deutsche „Schutzgebiet“ habe britischen Interessen im Wege gestanden, weshalb von England wiederum eine besondere Bedrohung für die deutschen Kolonialherren und ihre Ziele ausgegangen sei.[3]

Diese Darstellung ist freilich vor dem politischen Hintergrund des Jahres 1941 zu sehen: Längst war England nicht mehr vorrangig eine Bedrohung deutscher Interessen in Afrika, sondern Kriegsgegner auf dem europäischen Kontinent. Besonders diese Beobachtung legt den Schluss nahe: Auch die zweite Karte instrumentalisierte die koloniale Vergangenheit - diesmal für die Interessen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Dementsprechend dominiert hier das machtpolitische gegenüber dem (ebenfalls vorhandenen) kolonialrevisionistischen Moment.

2 Literatur

  • Susanne Grindel: „… so viel von der Karte von Afrika britisch rot zu malen als möglich“. Karten kolonialer Herrschaft in europäischen Geschichtsschulbüchern des 20. Jahrhunderts, in: Peter Haslinger/Vadim Oswalt (Hg.), Kampf der Karten. Propaganda- und Geschichtskarten als politische Instrumente und Identitätstexte, Marburg 2012, S. 258-287.
  • Susanne Grindel: Kolonialismus im Schulbuch als Übersetzungsproblem. Deutsche, französische und englische Geschichtslehrwerke im Vergleich, in: Geschichte und Gesellschaft 38, 2012, S. 272-303.
  • Susanne Grindel: Lesarten des Kolonialismus. Die Kolonialgeschichte in neueren europäischen und afrikanischen Schulbüchern, in: Periplus. Jahrbuch für außereuropäische Geschichte 22, 2012, S. 176-195.

Zuletzt geändert: 26. Feb 2025, 13:13, Horstmeier, Philipp [horstmep]