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Eduard Douwes Dekker (Multatuli)
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[Ausblenden]Eduard Douwes Dekker (* 2. März 1820 in Amsterdam, † 19. Februar 1887 in Ingelheim am Rhein), bekannt unter dem Pseudonym Multatuli (lat. für etwa: »Ich habe viel ertragen«), lebte von 1839 bis 1856 als Kolonialbeamter in Niederländisch-Indien (heutiges Indonesien). Die vor Ort aufgedeckten Missstände verarbeitete er in seinem bekanntesten Roman »Max Havelaar«, der 1860 erstveröffentlicht wurde, und der auch heute noch zu den wichtigsten niederländischen Werken gehört.
1 Lebenslauf
1.1 Kindheit und Jugend
Dekker wurde 1820 in Amsterdam als fünftes Kind des Kapitäns Engel Douwes Dekker in eine mennonitische Familie geboren. Ab 1832 besuchte er eine Lateinschule, wo er sich aber nicht zurechtfand und deshalb ab 1835 im Textilhandel arbeitete. Auch hier kam er nicht zurecht, weshalb er im September 1838 von seinem Vater per Segelschiff nach Java – Teil der Kolonie Niederländisch-Indien – mitgenommen wurde, wo er im Januar 1839 ankam.
1.2 Zeit in Niederländisch-Indien
Mitte Januar 1839 begann Dekker, unbesoldet in der Kolonialverwaltung zu arbeiten. Im Laufe der Folgejahre bekleidete er verschiedene Stellen in der Kolonie, die für die Verhältnisse im Mutterland hoch besoldet waren. Trotzdem machte er seine ersten Schulden. 1841 verfasste er sein erstes Werk »Lose Blätter aus dem Tagebuch eines alten Mannes«. 1843 musste er seine Stellung als Kontrolleur 2. Klasse an der Westküste Sumatras verlassen, nachdem Ungereimtheiten im Kassenbuch aufgedeckt worden waren. Es ist wahrscheinlich, aber nicht gesichert, dass Dekker aus der Kasse gestohlen hatte. Es folgte ein Jahr der Arbeitslosigkeit.
1845 lernte er Everdina Huberta Baronesse von Wijnbergen – später Tine genannt – kennen, es kam zur Verlobung und ein Jahr später zur Heirat. In den Folgejahren arbeitete er sich hoch, bis er 1851 erstmalig Assistent-Resident (das höchste Amt für Kolonialbeamte in einem Bezirk) wurde. Im Jahr 1852 bekam Dekker zwei Jahre Urlaub in Europa gestattet, weil er »an einer Nervenkrankheit infolge eines noch nicht wieder voll geheilten Leberschadens leide«1), blieb aber drei Jahre. Er wollte diese Zeit für kulturelle Fortbildung und das Schreiben nutzen. Er plante Reisen, welche jedoch zunichte gemacht wurden, weil er in Belgien all sein Geld verspielte. Seine Versuche, in anderen Kasinos an Geld zu kommen, um diese Schulden zu bezahlen, blieben erfolglos.
1855 reiste er zurück nach Niederländisch-Indien, wo er im Januar 1856 zum Assistent-Resident von Lebak auf Java ernannt wurde. Hier deckte er Probleme auf, die den ortsansässigen, indigenen »Fürsten« betrafen. Ab Februar trug er diese Missstände an seine Vorgesetzten heran und wurde auf eigenen Wunsch im April aus dem Dienst entlassen. Diese Ereignisse verarbeitete er später in dem Roman »Max Havelaar«.
1.3 Nach der Kolonialarbeit & Zeit in Deutschland
1857 reiste Dekker auf dem Landweg alleine zurück nach Amsterdam. Die folgende Zeit war von drei Faktoren geprägt: Der erste war das Reisen. Es zog ihn u.a. nach Frankreich, Mainz, Brüssel und Kassel. Der zweite Faktor war eine Vielzahl von engen Beziehungen und Affären unterschiedlicher Art zu Frauen. 1862 lernte er die junge Frau Maria Frederika Cornelia Hamminck Schepel, genannt Mimi, kennen. Der dritte Faktor war das Schreiben und damit auch der Kampf um die Verhältnisse in Niederländisch-Indien. 1860 wurde »Max Havelaar« nach einer langen Suche nach einem Verleger veröffentlicht und Dekker schrieb einen Brief an den niederländischen König Wilhelm III., der jedoch wirkungslos blieb. Armut und Schriftstellerei prägten die nächsten Jahre. 1870 zogen Dekker und Mimi nach Wiesbaden, wo sie 1875 nach dem Tod Tines heirateten. 1879 zogen sie gemeinsam nach Geisenheim in der Nähe von Wiesbaden, von wo sie 1880 nach Ingelheim am Rhein in Rheinland-Pfalz zogen, wo Dekker 1887 starb.
1.4 »Max Havelaar«
Der Roman handelt von der namensgebenden Figur, die als neuer Assistent-Resident mit Frau und Sohn in Lebak ankommt. Havelaar wird als motivierter und den Indigenen gegenüber respektvoller, junger Mann dargestellt, der bei der Durchsicht der Unterlagen seines Vorgängers auf etwas stößt, was diesem aufgefallen war. In Niederländisch-Indien arbeiten die niederländischen Kolonialisten eng mit den indigenen Eliten zusammen, welche einst als »Fürsten« begriffen wurden, nun aber ein besoldetes Amt bekleiden. So muss die Bevölkerung nicht nur für die Kolonialisten Güter anbauen, die in die Niederlande exportiert werden, sondern arbeiten zusätzlich noch für die »Regenten« genannten Eliten, ohne dafür entlohnt zu werden. Auch niederländische Kolonialbeamte vor Ort sind in das System involviert. Diese Missstände deckt Havelaar auf, wendet sich damit an seine Vorgesetzte und reicht gleichzeitig seine Kündigung ein.
Das Geschehen um Havelaar wird in eine Rahmenhandlung rund um den Amsterdamer Kaffeehändler Batavus Droogstoppel eingebettet, der dem konservativen Bildungsbürger*innentum der Niederlande den Spiegel vorhalten soll.
Zuletzt durchbricht Dekker das literarische Narrativ und wendet sich direkt an die niederländische Bevölkerung und den König.
1.5 Nachwirken
Bei Veröffentlichung von »Max Havelaar« ging ein Ruck durch die niederländische Bildungsschicht. Dort bekam man nicht viel von den tatsächlichen Umständen in Indonesien mit, weil die vielen niedergeschlagenen Aufstände nicht dorthin gemeldet wurden. Linke Kräfte sahen sich in ihrer Kritik am niederländischen Kolonialismus bestätigt, während die konservative Bevölkerung den Roman als überspitzt kritisierte. In der Kolonialpolitik der Niederlande gab es keine Reaktion und auch Dekkers Brief an den König schien wirkungslos gewesen zu sein. Auf längere Sicht fanden leichte Veränderungen der Kolonialpolitik statt, aber erst ab 1900. Diese waren u.a. durch den Roman angetrieben worden, auch wenn die niederländische Bevölkerung weiterhin zu einem großen Teil über die Verhältnisse in der Kolonie hinwegsah, was Dekker verbittert werden ließ.
Heute gilt »Max Havelaar« als eines der wichtigsten Werke niederländischer Literatur und Dekker als einer der bedeutsamsten niederländischen Autor*innen.
Heute gilt der Name des Romans als ein Symbol für Fair Trade, etwa bei der Schweizer Max-Havelaar-Stiftung.
2 Literatur
- Kgl. Niederländische Botschaft Bonn (Hrsg.): Nachbarn. Eduard Douwes Dekker – Multatuli. Amsterdam 1820 – Nieder-Ingelheim 1887, Bonn 1994.
- Leibfried, Erwin: Anstoß zur »ethischen Politik«. »Max Havelaar« von Multatuli (1860), in: van Laak, Dirk (Hrsg.): Literatur, die Geschichte schrieb, Göttingen 2011, S. 61-71.
- Leibfried, Erwin: Multatuli. Leben und Schreiben zwischen, Amsterdam, Java und Wiesbaden, Wiesbaden 2005.
verfasst von Markus Herrmann
Zuletzt geändert: 28. Apr 2025, 11:19, Horstmeier, Philipp [horstmep]