Hessen (post)kolonial

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Ingenieurswissenschaften

 Ingenieure waren zum einen das Produkt der voran schreitenden Industrialisierung, sie verstanden sich aber auch als aktive Gestalter einer industrialisierten Welt. Als eigenständige wissenschaftliche Disziplin etablierte sich das Ingenieurwesen erst um die Jahrhundertwende. Maßgeblich dafür war die Verleihung des Promotionsrechts durch ein Dekret Wilhelms II im Januar 1900.

Aus der Außenperspektive wurden Ingenieure ambivalent wahrgenommen. Zum einen wurde in sie eine positiv konnotierte Erwartung des Machers und Naturbezwingers projiziert. Bei Außenstehenden stieß die Technik aber auch auf Skepsis. Ein geläufiger Vorwurf lautete, dass die Technik zu einer Mechanisierung und Verarmung des Lebens führen würden.[1]

Einen Zusammenhang zwischen Technik und Kolonialismus sieht die Forschung darin, dass technische Neuerungen als Instrument zur Herrschaftssicherung in den Kolonien genutzt werden konnten. In seinen älteren Arbeiten vertritt Daniel R. Headrick die These, dass der Telegraf vor allem ein Herrschafts- und Kontrollinstrument war. Dabei beruft er sich auf den Sepoy Aufstand in Indien und den Boxeraufstand in China. Es wird argumentiert, dass die Aufstände zu einem Ausbau des Telegrafennetzes geführt hätten, weil man sich davon ein effektiveres Kommandieren der Truppen erhoffte. In neueren Publikationen spricht Headrick inzwischen jedoch von einem „double-edged sword“, weil der Ausbau auch den nicht intendierten Effekt hatte, dass die indische Nationalbewegung davon profitierte.[2]

Literatur


[1] Zu den Ingenieurswissenschaften vgl.: Hans-Liudger Dienel: Zweckoptimismus und -pessimismus der Ingenieure um 1900, in: Hans-Liudger Dienel (Hrsg.), Der Optimismus der Ingenieure, Stuttgart, 1998.
[2] Martina Heßler: Kulturgeschichte der Technik, Frankfurt am Main, 2012, S. 126f.

Zuletzt geändert: 14. Sep 2023, 15:33, Horstmeier, Philipp [horstmep]