Hessen (post)kolonial

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Medizinwissenschaften

Die Medizinwissenschaften sind jene wissenschaftlichen Felder, welche sich mit der Erkennung, Behandlung und Vorbeugung von Krankheiten und Verletzungen beschäftigen.

Im Rahmen des Kolonialismus und der Erforschung fremder Krankheiten gingen viele Mediziner in Kolonien oder beteiligten sich anderweitig an der Durchdringung kolonialer Räume. Dabei wurden neben medzinischen Durchbrüchen bei der Krankheitsbekämpfung auch viele Verbrechen begangen. Medizinische Vorschriften wurden vielfach mit Gewalt gegenüber den kolonisierten Völkern durchgesetzt und diese durch pseudowissenschaftliche Praktiken als "niedere Menschenrassen" klassifiziert. Ihre Gesundheit war unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet, da man einheimische Arbeitskräfte benötigte, um die Kolonien profitable zu halten.

Akklimatisationsfrage

Ein wesentliches Merkmal kolonialistischen Denkens bestand in der Vorstellung, dass die „europäische Rasse“ den „außereuropäischen Rassen“ überlegen sei. Diese Ungleichheit wurde auf unterschiedliche Ursachen zurückgeführt: Einerseits wurde die Idee eines angeborenen, also biologisch-genetisch fundierten Defizits diskutiert. Andererseits wurden aber auch Umwelteinflüsse wie etwa das Klima in Afrika für eine rückständige Entwicklung der einheimischen Bevölkerung verantwortlich gemacht. Zudem ging man davon aus, dass die Einheimischen unter „weißer Anleitung“ bis zu einem bestimmten Punkt in den Produktionsprozess europäischer Güter eingebunden werden könnten. Durch eine europäische Sozialisation, die sich an westlichen Normen und Werten orientiere, könnten dieser Auffassung nach die Defizite bis zu einem bestimmten Punkt abgeschwächt werden.

Der wissenschaftliche Diskurs über die unterschiedliche Konstitution der „weißen und schwarzen Rasse“ lässt sich idealtypisch an der sogenannten Akklimatisationsdebatte darstellen. Im Kern ging es um die Frage, ob sich Europäer den klimatischen Bedingungen in den Kolonien anpassen könnten. Anlass zu Zweifeln gaben Berichte von Tropenkrankheiten wie der Malaria oder der Schlafkrankheit. Aber auch Berichte von allgemeineren Symptomen, die in den Kolonien auftraten, nährten die Debatte. Dazu zählten etwa: Reizbarkeit, Kontrollverlust und Schwäche, die sich im Extremfall bis zum „Tropenkoller“ steigern konnte.[1]

Um die Beantwortung der Akklimatisationsfrage entstand ein vielgestaltiger Diskurs, der unterschiedliche Positionen hervorbrachte. Vereinfacht lassen sich zwei Lager herausarbeiten. Das eine Lager, deren Wortführer Rudolf Virchow war, äußerte erhebliche Zweifel an der Akklimatisationsfähigkeit der Europäer. Das andere Lager, das sich um Gustav Theodor Fritsch formierte, hielt eine Akklimatisation für möglich.


[1] Johannes Fabian: Im Tropenfieber. Wissenschaft und Wahn in der Erforschung Zentralafrikas, München 2001

Zuletzt geändert: 12. Sep 2023, 13:01, Horstmeier, Philipp [horstmep]