Hessen (post)kolonial

Reiter

Hans Staden

Hans Staden (* um 1525 in Homberg an der Efze, † 30. Juli 1576 vermutlich in Wolfhagen), war ein Landsknecht, der zweimal nach Brasilien reiste und dort in Gefangenschaft geriet.

Hans Staden verdingte sich zunächst als Landsknecht, wie damals die Söldner genannt wurden. Durch den Schmalkaldischen Krieg, einen der ersten Glaubenskämpfe zwischen Katholiken und Protestanten, kam er mit den Portugiesen in Kontakt. Staden hatte für seinen evangelischen Landesherren, Landgraf Philipp von Hessen, gekämpft, doch die Katholiken gingen siegreich aus dem Konflikt hervor. Daraufhin besetzten sie Hessen; unter ihnen waren auch portugiesische Söldner. Staden war als sogenannter „Büchsenschütze“, also Artillerist, gefragt. Vor allem Deutsche besaßen darin einen europaweiten Ruf. Zunächst begab er sich im Mai 1547 nach Lissabon und fuhr 1548 im portugiesischen Auftrag nach Brasilien. Dort sollte er die aufständischen Indianer in Pernambuco (heute Recife) bekämpfen. Mit an Bord waren auch zwei andere Deutsche: ein gewisser Hans aus Bruchhausen am Westerwald und ein Heinrich Prant aus Bremen.

Im Jahr 1549 kehrte er zurück und ging nach Spanien. Schon 1550 nahm er an einer spanischen Expedition in die La-Plata-Gegend teil, Ziel war das Gold in Peru. Allerdings erlitt das Schiff an der Südküste Brasiliens Schiffbruch. Staden wartete vergeblich auf ein Schiff, das ihn retten würde. Daher lebte er zwei Jahre in der Wildnis, bis er endlich die portugiesischen Siedlung São Vicente erreichte. Dort wurde er zunächst für vier Monate als Kommandant einer außenstehenden Festung beschäftigt. Kupferstich von Theodor de Bry 1557 nach Stadens Beschreibungen

1 Gefangenschaft

Als Hans Staden die Festung 1554 bei einem Jagdausflug verlassen hatte, nahmen ihn die einheimischen Tupinamba gefangen. Es handelte sich - seinen eigenen Angaben zufolge - um „Kannibalen“, die ihn „rituell töten und verspeisen“ wollten. Dies konnte er allerdings stetig hinauszögern, da er nicht wie die Portugiesen – die Feinde der Indigenen – aussah. Die Indianer waren stattdessen mit den Franzosen verbunden, weshalb sich Staden vermutlich als solcher ausgab. Dabei beherrschte er die französische Sprache nur schlecht. Als bei den Indigenen eine Seuche ausbrach, versprach Staden dem Anführer Heilung. Auf wundersame Weise konnte er sein Versprechen einhalten und galt - nach eigener Aussage - fortan als "Heiler und Schamane". Damit blieb er wegen seines Status vorerst verschont. Allerdings musste er mit ansehen, wie mehrere portugiesische Gefangene „kannibalisiert“ wurden. Nach rund neuneinhalb Jahren Gefangenschaft wurde er von einem französischen Kapitän durch Messer, Äxte, Spiegel und Kämme frei gekauft und konnte in seine Heimat zurück segeln.

2 Bericht über die "grimmigen Menschenfresser"

Hans Stadens „Warhaftige Historia und beschreibung eyner Landtschafft der Wilden Nacketen, Grimmigen Menschfresser-Leuthen in der Newenwelt America gelegen“ ging auf Veranlassung des Marburger Mediziners Johann Dyrander im Jahr 1557 in den Druck, das Manuskript dazu lag bereits 1556 vor. Hierbei handelte es sich um das erste ausführliche Buch über Brasilien in Europa, das in den nächsten 450 Jahren in 80 Ausgaben und acht Sprachen veröffentlicht wurde. Es war zu seiner Zeit ein regelrechter „Bestseller“. Die rund 50 Holzschnitte, die dazu angefertigt wurden, dürften zu seiner Beliebtheit enorm beigetragen haben. Die Autorenschaft Stadens ist allerdings aufgrund seiner fehlenden Bildung teilweise umstritten. Oft wird Johann Dyrander als eigentlicher Autor vermutet. Jedoch sind sich neuere Forschungen einig, dass dieser eher die Funktion eines Lektors hatte. Dies zeige das Vorwort von Dyrander: Während dieses ein erheblich höheres Niveau aufweist, lässt der monotone Schreibstil im Hauptteil einen schriftstellerischen Anfänger vermuten. Hans Stadens Bericht ist im Übrigen nicht nur für die Ethnologie interessant, sondern auch für die Sprachforschung: Staden lernte während der Gefangenschaft die Tupinamba-Sprache und hinterließ in seinem Buch wichtige Aufzeichnungen.

3 Wirkung in Brasilien

Für die Brasilianer hat Hans Staden eine wichtige kulturelle Bedeutung. Schließlich waren die Tupinamba eines der Urvölker Brasiliens. Somit trägt auch das Martius-Staden-Institut in São Paulo, das sich mit dem deutsch-brasilianischen Kulturaustausch beschäftigt, seinen Namen. Zudem erlebte dort sein Buch im 19. Jahrhundert eine Renaissance. Dabei erschienen auch zahlreiche Comics und Kinderbücher, womit Hans Staden in Brasilien wesentlich bekannter und beliebter ist als in Deutschland. In den Jahren 1971 und 1999 wurden seine Erlebnisse in Brasilien sogar verfilmt. Auch eine Straße in Ubatuba, dem Ort seiner Gefangenschaft, ist nach ihm benannt.

4 Würdigung in Deutschland

In Deutschland gibt es „Hans-Staden-Straßen“ in seinem Geburtsort Homberg an der Efze sowie in Kassel und Korbach. Des Weiteren erinnern Denkmäler in Homberg und Wolfhagen an ihn. Im Regionalmuseum Wolfhagener Land ist zudem eine Dauerausstellung dem Leben und Wirken Hans Stadens gewidmet. Die Universität Göttingen stellt Stadens wichtigstes Werk digital zur Verfügung. 

5 Literatur

  1. Andreas Austilat: Bei den nackten Menschenfressern, in: Tagesspiegel vom 7. Oktober 2013.
  2. Eve M. Duffy/Alida Metcalf: The Return of Hans Staden. A Go-between in the Atlantic World, Baltimore 2012.
  3. Georg Bremer: Unter Kannibalen: Die unerhörten Abenteuer der deutschen Konquistadoren Hans Staden und Ulrich Schmidel, Zürich 1996.
  4. Michael Harbsmeister: Von Nutzen und Nachteil des Studiums älterer Reiseberichte. Zur Wiederentdeckung Hans Stadens im 19. und 20. Jahrhundert. In: Walther Bernecker, Gertrut Krömer (Hg.): Die Wiederentdeckung Lateinamerikas. Die Erfahrung des Subkontinents in Reiseberichten des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/Main 1997, S. 79–105.
  5. Wolf Lustig: A Junesche been ermi uramme: die filmische Umsetzung von Hans Stadens Wahrhaftige[r] Historie der wilden, nackten, grimmigen Menschenfresser-Leute als ‘Re-Tupierung‘ der europäisch-brasilianischen Begegnung, in: Ute Fendler/Monika Wehrheim (Hg.): Entdeckung, Eroberung, Inszenierung. Filmische Versionen der Kolonialgeschichte Lateinamerikas und Afrikas, München 2007.
  6. Adelheid Rehbaum: Von Abenteurern und Einwanderern. Hans Staden (um 1525-1576) und Graf Friedrich Kasimirs Kolonie „Hanauisch Indien“ (1669), in: Hessische Heimat. Aus Natur und Geschichte, Heft 4/2008, S. 13-16.
  7. Hans Staden: Warhaftig Historia und Beschreibung eyner Landschafft der Wilden, Nacketen, Grimmigen, Menschenfresser Leuthen, in der Newenwelt America gelegen, vor und nach Christi Geburt im Land zu Hessen, Marburg 1557

Zuletzt geändert: 6. Jan 2025, 11:10, Horstmeier, Philipp [horstmep]