Hessen (post)kolonial

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Richard Walther Darré

Richard Walther Darré (geb. 1895, gest. 1953) war unter dem Regime der NSDAP der „Reichsbauernführer“ und Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft.

1 Lebenslauf

Darré wurde in Belgrano, einem Vorort von Buenos Aires, als Sohn einer Kaufmannsfamilie geboren. Im Jahr 1905 emigrierte die Familie nach Deutschland und ließ sich in Wiesbaden nieder. Darré wurde zu einer deutschen Pflegefamilie geschickt, um die Oberrealschule in Heidelberg zu besuchen. Schlechte Leistungen resultierten in zahlreichen Schulwechseln und führten ihn so 1914 zur Kolonialschule in Witzenhausen. Darré meldete sich als Kriegsfreiwilliger noch im selben Jahr und wurde an die Westfront gesandt.[1]

Im Krieg stieg Darré zum Leutnant auf, wurde aber schnell von der Brutalität an der Westfront desillusioniert. Das Scheitern des Krieges schob er jedoch, wie so viele, auf den „Dolchstoß“ aus der Heimat. Die folgende französische Besatzung Wiesbadens erlebte Darré mit Bitterkeit und fokussierte sich darauf, seine Ausbildung an der Kolonialschule Witzenhausen fortzusetzen, obwohl Deutschland seine Kolonien durch den Friedensschluss verloren hatte. Darré hoffte, nach einem Volontariat nach Argentinien zurückkehren zu können. Aufgrund seiner Aktivität in der studentischen Selbstverwaltung wurde er 1920 durch eine Intrige, nachdem er sein Vordiplom abgeschlossen hatte, durch ein Ehrenratsverfahren aus dem Institut ohne Abschluss ausgeschlossen. In der Folgezeit schlug er sich als Volontär auf verschiedenen Bauernhöfen und Gütern durch, bis er 1922 durch seine Schwiegermutter ein Studium der Landwirtschaft in Halle (Saale) vermittelt bekam. Seinen Schwerpunkt legte Darré auf die Mendel/Darwin'sche Evolutions- und Vererbungslehre und der Viehzucht mit Fokus auf Schweinezucht unter Professor Gustav Fröhlich. 1924 schloss er sein Studium mit der Diplomarbeit „Die Domestication der Haustiere mit besonderer Berücksichtigung der Schweine“ mit der Gesamtnote „ziemlich gut“ ab. Im Rahmen seines Studiums war Darré zudem mit dem Zoologen Valentin Haecker in Kontakt gekommen, dessen Ideen über „Menschenrassen“ und „biologische Zeitfragen“, stammend aus den Werken von H.F.K Günther, Darré für sich selbst übernahm.[2]

Die Zulassung zum Tierzuchtinspektor war ihm, trotz Diplom, verweigert worden, da er die erforderlichen Praktika nicht nachweisen konnte. Er war 1925 nach Gießen gegangen, um dort die Prüfung abzulegen, nachdem er weitere Praktika in Halle absolviert hatte, wurde jedoch dort, neben dem fehlenden Praktikum auch wegen einer persöhnlichen Kontroverse mit dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses, abgelehnt.[3]

Darré ging nun nach Insterburg, wo er sich ein Volontariat bei der Stutbuchgesellschaft ablegte. Dort bekam er den Auftrag, mit interessierten finnischen Landwirten Kontakt aufzubauen, um sie für die Königsberger Ostmesse zu gewinnen. Darrés Besuch scheiterte zwar, seine Leistung, den Kontakt zwischen der finnischen und der ostpreußischen Landwirtschaft zu verstärken, wurde jedoch positiv aufgenommen. Da nach Ablauf des Volontariats 1926 trotz guter Bewertungen keine Stelle frei wurde, kam Darré in Königsberg in der Landwirtschaftskammer unter. Während dieser Zeit arbeitete er an seinem Werk „Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse“ unter Einfluss des „Nordischen Rings“. Sich selbst als Vorkämpfer an der Front des „Volkstumskampfs“ sehend, wurde Darré 1928 nach Riga gesandt, um weitere landwirtschaftliche Kontakte zu knüpfen. Das Geschäft mit Lettland brach jedoch zusammen, nachdem einmal das falsche Getreide geliefert wurde und die deutschfeindliche Opposition das lettische Landwirtschaftsministerium unter Druck setzte. Darré wurde von seinen Vorgesetzten von „Außenost“ als Sündenbock dargestellt, wogegen dieser Widerspruch erhob. Eine Besprechung zwischen allen Parteien, dem Auswärtigen Amt und dem Reichsernährungsminister stellte keinerlei fachlichen Mängel Darrés fest, das Vertragsverhältnis zwischen ihm und der Landwirtschaftskammer Königsberg wurde aber 1929 trotzdem gelöst, da er sich während seiner Angestelltenzeit nicht bemüht hatte, ihre Fehler auszugleichen.[4]

1930 schloss sich Darré der NSDAP an und wurde dort rasch der aussichtsreichste Kandidat für die Führung der Landwirtschaft. Im Juni 1930 wurder er als landwirtschaftlicher Berater von der Partei angestellt. Er trat ebenfalls in die SS ein, wo er durch Himmler zum Chef des „Rasse- und Siedlungsamtes“ wurde.[5] Darré und Himmler teilten Ansichten zur „Züchtung“ einer neuen „reinen“ Oberschicht und entwickelten die SS in Richtung einer „Sippengemeinschaft“ nach dem Darré'schen Adelsbild aus „Blut und Boden“. 1932 war Darré für den Wahlkampf Hitlers tätig, mit einem starken Fokus auf die Landbevölkerung.[6] Dennoch wurde nicht er, sondern Alfred Hugenberg von der DNVP Landwirtschaftsminister. Darré glich dies aus, in dem er begann, die Berufsorganisationen der deutschen Landwirtschaft auf sich konzentrieren und wurde 1933 so zum „Reichsbauernführer“ und erlangte wenig später, nach Hugenbergs steigender Marginalisierung und der Selbstauflösung der DNVP, das Amt des Landwirtschaftsministers.[7]

Darré zerstritt sich mit anderen Parteigrößen wie Joseph Goebbels und Heinrich Himmler und 1936, als er sich eine Sportverletzung zugezogen hatte und für sieben Monate von der politischen Bühne Berlins verschwand, begann sein Niedergang. Eine gescheiterte Ablösung durch seinen Stellvertreter Wilhelm Meinberg kostete ihn viel Reputation und er wurde um 1942 aus „gesundheitlichen Gründen“ beurlaubt und 1944 von seinen Ämtern zugunsten von Staatssekretär Herbert Backe verdrängt.[8]

Darré verbrachte die letzten Jahre des Krieges in der Schorfheide. Nach der Befreiung durch die Alliierten wurde er vor Gericht gestellt und wegen seiner Rolle im Nationalsozialismus während des Wilhelmstraßen-Prozesses zu sieben Jahren Haft verurteilt, von denen er allerdings nur ein Jahr absaß. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Bad Harzburg und verstarb 1953 nach einem Klinikaufenthalt in München. Er wurde in Goslar beigesetzt.[9]

2 Koloniale Aktivitäten

Kolonisation in Darrés Sinn bezog sich vor allem auf die Besiedelung des Landes durch Bauern, die er in der Tradition der mittelalterlichen Ostsiedlung sah. Kolonien wie jene, die das Kaiserreich besessen hatte, sah Darré kritisch und als Ausformung des Geistes von „jüdischen Nomaden“.[10] Zudem glaubte er auf pragmatischerer Ebene, eine Rückgewinnung der deutschen Kolonien würde dem Dritten Reich nur Antipathien von England und Frankreich einbringen. Darrés Vorstellungen waren dagegen stark von seinem Rassismus dominiert, der erstrebte, eine neue „nordische“ Bauernschaft in „arteigenen Lebensbedingungen“ anzusiedeln, die den Grenzraum Deutschlands sichern und erschließen sollte.[11] Die Besiedelung anderer Kolonien, so z. B Südwestafrikas, lehnte er ab, da dadurch ein „nichtdeutscher“ Staat mit „nichtdeutschen“ Menschen besiedelt werden würde, was den „Volkskörper“ langfristig schwächen würde.[12]

Darrés Hauptziel während des Dritten Reiches war eine Steuerung der Neubesiedelung und Kolonisation des erwarteten „Lebensraums im Osten“. Hierfür sollten SS-Familien gezielt in großen Siedlungsverbänden angesiedelt werden, um als „Bollwerk gegen die Slawen“ zu dienen.[13] Hierbei orientierte er sich an der Ansiedlung heimkehrender Soldaten nach dem Ersten Weltkrieg in Ungarn unter Horthy. Er selbst sollte jedoch nur kurz für die Planung verantwortlich sein.[14]

1933 sollte Darré versuchen, Witzenhausen in eine Schule für Siedler in den neuzuverwerbenden „Ostterritorien“ umzuwandeln. Diese Pläne wurden jedoch vom Reichsminister des Inneren, Wilhelm Frick, verhindert, der dafür Sorge trug, dass Witzenhausen seinen Fokus auf Überseekolonien beibehielt.[15]

3 Literatur

  • Horst Gies, Richard Walther Darré - Der „Reichsbauernführer“, die nationalsozialistische „Blut- und Boden“ Ideologie und Hitlers Machteroberung, Köln 2019
  • Willeke Sandler, Colonial Education in the Third Reich: The Witzenhausen Colonial School and theRendsburg Colonial School for Women, erschienen in: Central European History, Band 49, Jahr 2016

[1] Gies, S.28
[2] Gies, S.74
[3] Gies, S.43
[4] Gies, S.48
[5] Gies, S.260
[6] Gies, S.595
[7] Gies, S.643
[8] Gies, S.666
[9] Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 2007, S.103.
[10] Gies, S.364
[11] Ibid
[12] Gies, S.401
[13] Gies, S.303
[14] Gies, S.363
[15] Sandler, S. 189

Zuletzt geändert: 19. Aug 2024, 15:55, Horstmeier, Philipp [horstmep]