Hessen (post)kolonial
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Reichsausstellung für Kolonialwaren und Lebensmittel Frankfurt 1921
Die „Reichsausstellung für Kolonialwaren und Lebensmittel“ fand vom 20. bis zum 28. August 1921 in Frankfurt/Main statt. Ausrichter war der Reichsverband deutscher Kolonialwaren- und Lebensmittelhändler, Ort die Frankfurter Festhalle. Insgesamt 263 Firmen aus ganz Deutschland, darunter die Mehrzahl aus Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet, stellten ihre Produkte zu diesem Anlass aus. Der Ausstellungskatalog verzeichnete beispielsweise Keksfabrikanten und Sauerkraut- und Zwiebackfabriken, bei denen gewiss keine Verbindung zum Kolonialismus oder Kolonialwaren vorhanden war, aber eben auch Tabak- und Zigarrenfirmen, etliche Kaffee-Essenz-Fabriken und Kaffee-Großröstereien, darunter die Mtussi GmbH Gewürz Import aus Nürnberg und eine ganze Reihe von Kolonialwarengroßhandlungen wie beispielsweise die Firma Kleco Kolonialwaren und Lebensmittel aus Frankfurt und den Kolonialwaren-Import und Lebensmittelgroßhandel Fertsch&Co. aus Friedberg.
Im Rahmenprogramm stand unter anderem ein Sommernachts- und (passend zum hessischen Veranstaltungsort) ein Apfelweinfest, ein Konzert und ein großer „Alt-Frankfurter-Abend“. Die Eröffnungszeremonie oblag am 20. August dem Zweiten Vorsitzenden der Frankfurt-Hanauer Handelskammer, Dr. Kotzenberg. Die Frankfurter Nachrichten berichteten in der Folgezeit täglich über das „wirklich weltstädtische Ausstellungstreiben“, das auch viele Besucher aus der Schweiz und Holland sowie aus Schweden, Norwegen und Dänemark anlockte.
Dabei stand die Frankfurter Ausstellung im Kontext mehrerer ähnlicher Kolonial- und Kolonialwarenausstellungen (vgl. Kolonialausstellungen), die in den 1920er- und 1930er-Jahren abgehalten wurden - nicht zuletzt mit dem Ziel, die aus Sicht der Kolonialbefürworter „offene“ Kolonialfrage wieder in die öffentliche Debatte zu heben. Tatsächlich knüpften die Frankfurter Organisatoren auch direkt an die Tradition der Kolonialausstellungen der Vorkriegszeit an, indem sie im offiziellen Ausstellungskatalog betonten, die Frankfurter Ausstellung sei „die bedeutendste Veranstaltung dieser Art seit Kriegsende“[1] . Auch der offizielle Name der Ausstellung, in dem die Kolonialwaren vor den Lebensmitteln rangierten, obwohl die Kolonialwarenhändler bei den Ausstellern gegenüber „einfachen“ Lebensmittelhändlern deutlich in der Minderzahl waren, gibt einen Hinweis auf das Selbstverständnis der Ausstellung und auf Traditionslinien vor 1921.
Die erste große Kolonialausstellung auf deutschem Boden fand im Sommer 1896 als Teil der Gewerbe-Ausstellung in Berlin-Treptow statt. Dort wurden nicht nur Kolonialwaren gezeigt, sondern im Rahmenprogramm auch mehrere Hagenbecksche Völkerschauen. Ein nachgebautes, begehbares Mini-Kairo symbolisierte die kolonialen und Weltmachtfantasien des Kaiserreiches. Die oben zitierte Formulierung im Frankfurter Ausstellungskatalog offenbart indirekt, dass sich die Organisatoren 1921 in einer Reihe mit Berlin 1896 sahen - Frankfurt war „die bedeutendste Veranstaltung dieser Art seit Kriegsende“, Berlin die größte derartige Ausstellung vor dem Krieg. Die Frankfurter Ausstellung 1921 verweist damit auf die Bedeutung von Kolonialwaren oder Kolonialwarenhändlern eingangs der 1920er-Jahre, aber mehr noch auf den Kolonialrevisionismus der 1920er-Jahre sowie auf die Tradition, koloniale Expansion und Weltmachtstreben mit wirtschaftlichen Faktoren zu verbinden.
Literatur
Bernd Häussler: Frankfurt vor 70 Jahren. Kognakstände in künstlerischem Schmuck, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 18. August 1991, S. 11.
Ausstellungskatalog zur Reichsausstellung für Kolonialwaren und Lebensmittel, S. XIII, in: Magazin der UB Frankfurt.
Zuletzt geändert: 28. Aug 2023, 14:57, Horstmeier, Philipp [horstmep]