Hessen (post)kolonial
Reiter
Schwarze Schmach durch französische Kolonialtruppen nach 1918
Um den Waffenstillstand vom November 1918 zu garantieren und jeden möglichen Widerstand der Deutschen - oder sogar eine Wiederaufnahme der Kämpfe - zu verhindern, rückten schon im November 1918 französische Truppen auf breiter Front an und über den Rhein vor und besetzten dabei auch Teile des Volksstaats Hessen, zu dem das Großherzogtum Hessen nach der Revolution geworden war. Anfangs reichte der französische „Brückenkopf Mainz“ bis zur Stadtgrenze von Darmstadt bei Griesheim. Diese insgesamt bis 1930 dauernde Besetzung führte natürlich zu Konflikten der deutschen Zivilbevölkerung mit den französischen Soldaten. Dies wurde dadurch noch besonders verschärft, dass ein großer Teil dieser Soldaten aus nord- oder westafrikanischen Kolonien stammte. Hierin sahen deutsche Publizisten, aber auch deutsche Regierungsvertreter eine zusätzliche Demütigung.[1]
In einer Sitzung der Nationalversammlung am 20. Mai 1920 nahm der Außenminister Köster im Namen der Reichsregierung Stellung zur Verwendung von schwarzen Truppen im besetzten Gebieten. Köster meinte, „dass die Verpflanzung von ca. 50.000 schwarzen, farbigen, fremdrassigen Truppen und Menschen nach Europa, in das Herz des weißen Europa, ein Vergehen an Gesamteuropa“ sei, über das man die ganze Welt aufklären müsste. Köster zählte ein paar angebliche Folgen der Verwendung dieser Truppen auf: Ermordung harmloser Bürger, Vergewaltigung von Frauen, Mädchen und Knaben, die Einrichtung zahlreicher Bordelle.[1]
Die Stationierung farbiger Besatzungssoldaten wurde tatsächlich von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung als eine „schwarze Schmach“ empfunden. Die Behauptungen über die besondere Kriminalität der afrikanischen Truppen waren allerdings reine Propaganda: die farbigen Truppen ließen sich weniger Disziplinwidrigkeiten zuschulden kommen als die weißen. Auch sind die Zahlen weitaus überhöht: es waren nie mehr als 25.000 afrikanischen (überwiegend nordafrikanische) Soldaten eingesetzt.[1]
In verschiedenen deutschen Zeitungen waren Artikel zu lesen, die die Anwesenheit der französischen Soldaten aus Afrika in den besetzten rheinischen Gebieten angegriffen haben. Die „schwarzen Kolonialtruppen aus Senegal“ mussten schon 1920 das Rheinland verlassen, weil sie das winterliche Klima dort nicht vertragen konnten. Der französische 'Consul géneral' Bruere teilte dem französischen Außenministerium mit, dass die Verlegung der senegalesischen Soldaten von der Berliner Presse in Verbindung mit den gegen die afrikanischen Soldaten erhobenen Vorwürfe gebracht werde, um so in der deutschen Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, dass die Soldaten tatsächlich die ihnen angelasteten Verbrechen begangen hätten.[1]
Die 6650 in besetzten Teilen des Volksstaates Hessen stationierten afrikanischen Soldaten verteilten sich wie folgt: In der Provinzhauptstadt Mainz lagen 4000, im Kreis Groß-Gerau 2000 Algerier und Marokkaner. Der hessische Innenminister Koch - Weser musste in einer Mitteilung der hessischen Regierung feststellen, dass die Regierung von keinen „besonderen Gewalttaten“ der Kolonialtruppen Kenntnis besitze. Der Oberbürgermeister der Stadt Worms wurde aufgefordert, die Unschuld dieser Soldaten schriftlich zu dokumentieren, was auch geschah. Er bestätigte in einem Schreiben vom 5. Juli 1920, dass sich das 11. Senegalschützenregiment in militärische Hinsicht „als eine gut disziplinierte Truppen erwiesen“ habe.[1]
Die rassistische Richtung der deutschen Propaganda ging zum Beispiel auch aus einem Flugblatt hervor, in dem zu lesen war, dass die „farbigen französischen Soldaten“ in den besetzten rheinischen Gebieten eine große Anzahl von Kindern gezeugt hätten, so dass „das herrliche deutsche Rheinland, das Land Siegfrieds von Xanten“ in Gefahr sei, „mit Mulattenkindern durchsetzt zu werden“. Diese Behauptung war keineswegs gerechtfertigt, denn in einem vom Reichsministerium der Justiz erstellten Verzeichnis hieß es, dass bis 1923 in der Provinz Rheinhessen nur zwanzig „Mischlingskinder“ auf die Welt gekommen wären.[1]
Obwohl aus den französischen und deutschen Quellen hervorging, dass die Propagandaschriften häufig Übertreibungen und Unwahrheiten verbreitet haben, scheint dies mit Wissen und Billigung der Reichsregierung geschehen zu sein. Dies bestätigt sich beispielsweise durch das Schreiben vom 2. Juli 1920 vom Auswärtigen Amt an den Grafen Bernstorff. Das Schreiben informierte ihn, dass zwar die afrikanischen Soldaten „weniger Missetaten“ als weiße französischen Truppen begangen hätten, aber ein „Feldzug gegen die Schwarzen“ dennoch aus politischen Gründen erforderlich sei. Die deutsche und französische Presse hätte die Vorwürfe gegen die Kolonialtruppen mit dem Ziel erhoben, im Ausland Stimmung gegen Frankreich zu machen, um auf diese Weise den ehemaligen Kriegsgegner von seinen Verbündeten zu isolieren, so der ehemalige französische Hochkommissar.“[1]
Eine der Folgen des Mythos der "Schwarzen Schmach" waren zunehmende rassistische Anfeindungen gegenüber Afrodeutschen und afrikanisch-stämmigen Menschen. Viele verloren ihre bisherige Arbeit und waren gezwungen, in Zirkussen und Völkerausstellungen Anstellungen zu finden.[4]
„Am 21.10.1920 endete eine Frauenkundgebung in Giessen mit einer Entschließung, die gegen die Stationierung französischer Kolonialsoldaten im Rheinland protestierte: 'Diese Politik ist geeignet,' so die Resolution, 'die Verständigung der Völker zu verhindern, die nationale Ehre Deutschlands aufs Schwerste zu beleidigen, die Würde aller Weissen Frauen zu gefährden und die deutsche Volksgesundheit zu untergraben.'“[2]
Viele (islamische) Grabsteine französischer, nordafrikanischer Besatzungssoldaten befinden sich noch heute auf dem als Teil des Mainzer Hauptfriedhofs in der Unteren Zahlbacher Straße angelegten Ehrenfriedhof.[3]
Literatur
- Christian Koller: „Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt„. Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (1914-1930), Stuttgart 2001 (u.a. über die Kolonialtruppendiskussionen in Worms, damals Teil des Volksstaates Hessen, sowie in Wiesbaden).
- Marius Munz: „Wiesbaden est boche, et le restera“: Die alliierte Besetzung Wiesbadens nach dem Ersten Weltkrieg (1918-1930), Norderstedt 2014.
- [1] Übernommen aus: Digitales Archiv Hessen-Darmstadt: Darmstadt im Ersten Weltkrieg, Organisation und Idee: Dr. Thomas Lange http://www.digada.de/wk1/kap3/kolonialtruppen.htm
- [2] Zitiert nach Sandra Mass: Von der „schwarzen Schmach“ zur „deutschen Heimat“. Die Rheinische Frauenliga im Kampf gegen die Rheinlandbesetzung, 1920-1929, in: WerkstattGeschichte, Heft 32, November 2002, S. 44-57, hier S. 44.
- [3] Übernommen aus: Stefanie Jung: Hartes Los der "Utschebebbes" - BESATZUNGSSOLDATEN Senegalesische Regimenter litten nach dem Ersten Weltkrieg schlimm am Winterklima, erschienen in der Allgemeinen Zeitung Mainz am 07.05.2013
- [4] Zitiert nach Florian Wagner: An Anti-Colonial Empire? Non-European Perspectives on the Weimar Republic and the German Dream of Empire (1919-1930s), Comparativ - Zeitschrift für Globalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung 26 (2016), Heft 6, S.57-75, hier S. 70.
Zuletzt geändert: 6. Jan 2025, 10:06, Horstmeier, Philipp [horstmep]