Hessen (post)kolonial
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Reklamesammelbilder
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[Ausblenden]Das Phänomen der Reklamesammelbilder stammt aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Dabei handelt es sich um auf leichtem Karton gedruckte, farbige, meist kleinformatige und in Serien erscheinende Bilder, die für Unternehmen, Produkte oder Dienstleistungen werben. Sie unterscheiden sich von den sogenannten Reklamebildern, weil sie nicht wie diese direkt am Produkt, etwa an einer Zigarettenschachtel, angebracht und damit Teil der Verpackung bzw. der Warenpräsentation waren, sondern verschiedenen Produkten beigelegt wurden - als Sammelobjekt. Die (druck-)technischen Voraussetzungen für die massenhafte Herstellung solcher Bilder (besonders die Farblithographie und die Druckschnellpressen) waren seit den frühen 1880er Jahren gegeben und führten zu einer rasanten Auflagensteigerung der bereits zuvor von Geschäftsleuten eingesetzten Bilder. Aus dem Werbeträger wurde so just in der Hochzeit des deutschen Kolonialismus ein nicht zu unterschätzendes Massenmedium, das neben Markennamen auch (politische wie soziale) Botschaften transportierte. Bei allem Anspruch zu belehren, blieb das vorrangige Ziel der Unternehmen gleichwohl, den Kunden zu gefallen und Kunden mit den bunten Bildern emotional anzusprechen.
Insofern Reklamesammelbilder zur Gruppe der Alltagsbilder zählen, teilen sie charakteristische Eigenschaften mit anderen Medien wie Fotografien, Postkarten, Illustrationen und auch Werbung. Anders als diese Medien (mit Ausnahme vielleicht der Werbung) erreichten die Sammelbilder aber spätestens um 1910 ein Millionenpublikum - nicht nur im deutschen Kaiserreich. Aus heutiger Warte betrachtet ähneln sie am ehesten den allseits bekannten (und besonders bei Kindern beliebten) Panini-Sammelbildern.
Einen Höhepunkt erlebte die Verbreitung der Reklamesammelbilder im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg. Vorreiter der Entwicklung war hier - wie von Beginn der Entwicklung an - die Kölner Liebig GmbH, die in Uruguay den von Justus Liebig entwickelten konzentrierten Fleischextrakt („Liebigs Fleischextrakt“) produzierte. Sie gab allein in Deutschland bis 1940 insgesamt 1138 Serien mit mehr als 7000 verschiedenen Motiven heraus, viele davon mit Bezug zum Kolonialismus. Wie die meisten Firmen wollte die Liebig GmbH mit den bunten, oft auch graphisch (nicht künstlerisch!) hochwertig gestalteten Reklamesammelbildern in erster Linie Kinder und Jugendliche ansprechen und auf diese Weise - gewissermaßen indirekt - Erwachsene zum Kauf der eigenen Erzeugnisse animieren. Die Bilder wurden in der Regel Produkten des täglichen Bedarfs beigelegt, etwa Schokolade, Kaffee, Kakao, Margarine, Fertigsuppen, Zigaretten sowie Wasch- und Bleichmitteln. Häufig gab es dafür spezielle Sammelalben.
1 Koloniale Reklammesammelbilder
Seit der Jahrhundertwende bis etwa 1914 erschienen in Deutschland stetig mehr Reklamesammelbilder mit kolonialen Motiven. Die Forschung spricht gar davon, der Kolonialismus sei zu dieser Zeit ein bevorzugtes Thema der Sammelbilder geworden. Ein Großteil der Motive warb wiederum für die Liebig GmbH, daneben gab es Dutzende andere Firmen, die ihren Erzeugnissen koloniale Sammelbilder beilegten.
Inhaltlich reproduzierten die Bilder in der Regel das dichotomische Menschen- und Weltbild der Kolonialzeit; sie zeigten den „weißen Mann“ im Mittelpunkt und die „Neger“ oder „Wilden“ als unterlegene, unzivilisierte Nebenpersonen. Die Bildersprache war entsprechend rassistisch, die Darstellungen waren oft karikierend oder verzerrend, insofern sie die Afrikaner beispielsweise in „Negerfamilienszenen“ oder als „Menschenfresser“ abbildeten oder schlicht ein abstoßendes Bild der Einheimischen malten, diese etwa mit sehr kleinen Körpern und sehr großen Köpfen darstellten. Kolonialkritische Motive, wie es sie etwa in Kolonialkarikaturen gab, sucht man bei den Reklamesammelbildern vergeblich. Diese Beobachtung verweist indirekt auf den alltagskulturellen Kontext der Bilder: Da es nicht primär um die Vermittlung politischer Botschaften ging - schon gar nicht um das Anstoßen politischer Debatten -, sondern gerade Charakteristikum der Reklamesammelbilder war, dass sie massenkompatibel sein mussten, beschränkte sich die inhaltliche Aussagekraft auf die Reproduktion vorhandener Stereotype oder die (freilich den allgemeinen Erwartungen entsprechende) Verklärung kolonialer Realitäten.
Die kolonialen Themen, die auf Reklamesammelbildern behandelt wurden, reichten von Natur- und Landschaftsdarstellungen aus den Kolonien über (vermeintliche) Alltagsszenen der „Wilden“ bis hin zu militärischen Sujets wie Kolonialkriegen und Gefechten. Bei alledem holten die Reklamesammelbilder die „exotischen“ Länder in die Wohnzimmer von Millionen Deutschen.
2 "Hessische" koloniale Reklamesammelbilder
Der Bezug der Reklamesammelbilder zu Hessen ist nicht immer leicht herzustellen und bleibt letztlich stets ein indirekter. Gewiss darf man davon ausgehen, dass Bilder jener Firmen, die ihre Produkte deutschlandweit vertrieben, auch in Hessen vielfach gesammelt und also bald zum Teil der kolonialen Alltagskultur wurden. Indes lässt sich eine Verbindung zu Hessen am schlüssigsten dort nachweisen, wo die Bilder von (rhein-)hessischen Firmen selbst produziert und verbreitet wurden. Drei solche Unternehmen und ihre Bilder werden im Folgenden beispielhaft aufgeführt. Die Beispiele spiegeln einen Teil der thematischen Vielfalt (von Schlachtdarstellungen bis zu Denkmalen) und sie dokumentieren die lange Zeitspanne, in der koloniale Reklamesammelbilder erschienen: die frühesten sind von 1905, das späteste von 1930.
2.1 Tribus und Sundheim Gießen
Die 1882 von Louis Sundheim gegründete Kaffee-Großrösterei (Werbeslogan: „Einmal erprobt, immer gelobt“) war besonders für ihren „Trisu Kaffee“ über die Grenzen Mittelhessens hinaus bekannt. Außerdem unterhielt die Firma Tribus und Sundheim auch einen Kolonialwaren-Großhandel, der kleinere Läden in umliegenden Dörfern sowie im Landkreis Marburg-Biedenkopf und dem Wetteraukreis belieferte. Der damalige Firmensitz der Kaffee-Großrösterei befand sich am am Horst-Wessel-Wall 5 (der heutigen Westanlage), Louis Sundheim wohnte in einer Villa in der Hofmannstraße 3 unweit des Gießener Bahnhofs.
Sammelbilder von 1905 der Rösterei zeigten militärische Motive, konkret zwei Gefechte aus dem Kolonialkrieg in Deutsch-Südwestafrika 1904/05 („Herero-Aufstand“). Kolonialkriege finden sich als Thema auf vergleichsweise vielen „kolonialen“ Reklamesammelbildern. Die Darstellungen dienten in der Regel der Verherrlichung der europäischen Kolonialarmeen sowie einzelner Generäle und zeigten die Aufständischen oft als mordlüsterne „schwarze Bestien“.
2.2 Myrrholin-Gesellschaft Frankfurt
Die Frankfurter Myrrholin-Gesellschaft produzierte vor allem Hygieneartikel, darunter Seife, Mundwasser, Puder und Hautsalbe. Sie warb spätestens ab 1906 mit Reklamesammelbildern, die koloniale Motive zeigten. In diesem Jahr erschien auch das erste „Myrrholin-Welt-Panorama“, ein Sammelalbum für Reklamesammelbilder, das bis heute sehr leicht online über viele Antiquariate zu beziehen ist, dementsprechend also eine hohe Auflage gehabt haben und weit verbreitet gewesen sein muss.
2.3 Kupferberg und Co. Mainz
Die Sektkellerei Kupferberg und Co. wurde 1850 von Christian Adalbert Kupferberg in Mainz gegründet und war seit 1852 besonders für ihre Marke „Kupferberg Gold“ über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. 2004 wurden die Sektwerke „Kupferberg“ an die Firma Henkell & Co. verkauft. Mittlerweile erinnert das Kupferberg-Museum in Mainz an die alte Sektkellerei und ihre Traditionen.
Reklamesammelbilder der Kellnerei stellten koloniale Identifikationsfiguren dar, wie ein Denkmal für Hermann Wißmann in Bagamoyo/Deutsch-Ostafrika (heute Tansania). Wißmann, später bis zu seinem Tod 1905 Kolonialgouverneur, gehörte zu den kolonialen Identifikationspersonen schlechthin im Kaiserreich; ihm zu Ehren wurden insgesamt drei verschiedene Denkmäler in den deutschen Kolonien errichtet, außerdem gab es im Kaiserreich diverse Erinnerungstafeln und auch eine Wißmann-Medaille. Besonders bemerkenswert ist, dass dieses Reklamesammelbild erst 1930, als Teil der „Kupferberg Gold-Kolonialserie 2“, veröffentlicht wurde. Damit zeigt dieses Beispiel, wie die koloniale Tradition auch in den Reklamesammelbildern bis weit über den Verlust aller deutschen Kolonien hinaus fortbestand. Historischer Kontext wäre die Debatte um die „offene“ Kolonialfrage, die auch die kolonialpolitischen Debatten der Weimarer Republik bestimmte.
Zuletzt geändert: 24. Aug 2023, 14:06, Horstmeier, Philipp [horstmep]