Mentoring in schulischen Praxisphasen

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Mentoring in schulischen Praxisphasen

Die Praktika nehmen innerhalb des Lehramtstudiums eine zentrale Funktion in der Professionalisierung angehender Lehrkäfte ein. Deshalb setzt sich die Marburger Lehrkräftebildung eingehend mit der Frage auseinander, wie man Praxisphasen während des Studiums bestmöglich gestalten kann.

Im folgenden Interview gibt Dr. Timo Beckmann einen Einblick in seine Arbeit zu den Praxisphasen im LA-Studium. Er erforscht, inwiefern die Praxisphasen für Studierende lernwirksam sind und erläutert, was Praktika im Lehramtsstudium seiner Meinung nach leisten sollen.
Was verbindet Sie mit der Marburger Lehrkräftebildung?
Ich habe in der Region einige Fortbildungen angeboten und war insbesondere von der hohen Wertschätzung für die Aufgaben von Mentor*innen beeindruckt. Ich habe dabei viele spannende Gespräche insbesondere auch mit Lehrenden aus der zweiten Phase geführt.
Sie forschen und beraten seit vielen Jahren zu Praxisphasen im LA-Studium. Was finden Sie an diesem Themenkomplex besonders spannend?
Die Praxisphasen machen nominell nur einen relativ kleinen Teil des Studiums aus. Selbst wenn Langzeitpraktika angeboten werden, umfassen die Praktika in Summe vielleicht 10 bis 15 Prozent des gesamten Lehramtsstudiums. Aber: Über kein Studienelement wird so sehr gerungen, wie über die Gestaltung der Praxisphasen. Die Praxisphasen werden auf der einen Seite als überaus gewinnbringend für Studierende verstanden, da entsprechend des „Mythos Praktikum“ eine umfangreiche eigene Tätigkeit in der Schule von Studierenden als selbstwirksamkeitsförderlich und besonders lernwirksam angesehen wird. Gleichzeitig werden Praxisphasen strukturell im Studium benachteiligt und sind für alle Akteur*innen mit hohem Aufwand verbunden. So wird Lehre in Begleitung zu Praxisphasen teilweise vermindert auf das Lehrdeputat angerechnet, Schulen und Studierende klagen über hohe Anforderungen und es stellt sich insbesondere bei unbegleiteten Praxisphasen die Frage, was eigentlich die (unbegleitete) Hospitation in der Schule von der eigenen Erfahrung als Schüler*in unterscheidet. Praxisphasen erleben also, wie die Tätigkeit als Lehrkraft insgesamt, teilweise eine sehr hohe Wertschätzung – es ist häufig ein erklärtes politisches Ziel Praxisphasen zu stärken und die Einführung der Langzeitpraktika in den letzten Jahren hat dies auch nominell gezeigt – und gleichzeitig in anderen Teilen eine sehr geringe Wertschätzung – weil sie zum Beispiel durch Schulen aufgrund von Überlastung abgelehnt werden und die Lehre in Teilen durch geringer qualifiziertes Personal erbracht wird.
In diesem auch emotional aufgeladenen Feld erscheint es mir hilfreich, insbesondere durch empirische Forschung ein wenig für Klarheit zu sorgen, was in Praxisphasen passiert und inwiefern diese für die Studierenden lernwirksam sind.
Die Liste dessen, was Praktika im Lehramtsstudium leisten sollen, ist lang. Was sind Ihrer Einschätzung nach die zentralen Aspekte?
Es hängt nach meiner Einschätzung stark davon ab, in welcher Phase der Lehrkräftebildung sich zukünftige Lehrkräfte aktuell befinden, also ob diese zu Beginn des Studiums, im späteren Verlauf des Studiums oder im Vorbereitungsdienst bzw. Berufseinsteiger*innen sind. Zentral herauszustellen für Schulpraktika in der Lehrkräftebildung ist für mich der systematische Aufbau und die enge und kohärente Begleitung der angehenden Lehrkräfte durch professionelle Lehrkräftebildner*innen. Die zentralen Faktoren sind insofern nicht unbedingt die Länge von Schulpraktika oder die Menge an Aufgaben die von Studierenden zu erfüllen sind, sondern, ob die verschiedenen Akteur*innen gut aufeinander abgestimmt sind und eine enge Begleitung der Studierenden stattfindet. In der Begleitung sind m.E. zwei zentrale Aspekte zu unterscheiden: erstens eine Reflexion der Berufswahl bzw. der eigenen Kompetenzen als Lehrkraft und des Wegs zu einer professionellen Lehrkraft; zweitens die konkrete gemeinsame Arbeit zwischen Professionellen und angehenden Lehrkräften an gutem Unterricht für spezifische Schüler*innen. Da die Gestaltung guten Unterrichts die Kernaufgabe von Lehrkräften ist, welche sich zudem als überaus komplex zeigt, sollte eine Vorbereitung auf die Planung, Gestaltung und Reflexion von Unterricht im Fokus von Schulpraktika stehen. Dabei ist m.E. besonders relevant, dass Studierende nicht mit allen Facetten des Unterrichtens gleichzeitig konfrontiert werden, sondern gemeinsam mit Mentor*innen und Lehrenden der Universität Stück für Stück die Komplexität guten Unterrichts durchdringen, in Handlungen übersetzen und diese entsprechend reflektieren, um daraus für kommende Aufgaben zu lernen. Wenn die Studierenden in den Schulpraktika erlernen, Unterricht für eine Schule von morgen zu planen und die Durchführung von Unterricht zu reflektieren, sind damit nach meiner Einschätzung bereits wesentliche Ziele erreicht. Wenn sie ergänzend Aspekte dieses Unterrichts selbst durchführen können, ist dies noch besser. Der Anspruch daran, wie viel die zukünftigen Lehrkräfte eigenständig bearbeiten können wächst dabei im Verlauf der Professionalisierung.
Immer wieder schildern Mentor*innen, dass die Betreuung der Studierenden mit sehr unterschiedlichen Herausforderungen verbunden ist. Welche Beobachtungen ergeben sich hierzu aus Ihrer Sicht?
Mentor*innen in Praxisphasen erleben Studierende in besonders intensiver Form und haben eine Vielzahl direkter Interaktionen mit Studierenden. Dies ist von sehr hohem Wert für die Lehrkräftebildung, da Mentor*innen durch diese direkte Interaktion einen besonderen Einfluss auf die Entwicklung der Studierenden nehmen können. Gleichzeitig sind Mentor*innen somit auch besonders mit den Herausforderungen konfrontiert, vor denen Schule, Studierende und Lehrkräftebildung aktuell stehen. Dies beinhaltet auf Seiten von Schule beispielsweise einen hohen Mangel an Lehrkräften bei gleichzeitig wachsenden Anforderungen an Schule und Unterricht und damit an Lehrkräfte. Studierende wiederrum stehen heute stark unter finanziellem Druck und arbeiten häufig bereits während des Studiums in Schulen. Eine Erwerbstätigkeit in Schule steht dabei regelmäßig mit einem Praktikum in Bezug auf Ziele und Organisation im Konflikt. Die Lehrkräftebildung ist mit großen Herausforderungen konfrontiert, insbesondere da in den letzten Jahren eine Vielzahl von tendenziell ungeregelten und alternativen Zugangswegen für Personal in die Schule entstanden sind und verstärkt auch Unterricht von Quer- und Seiteneinsteiger*innen bzw. von (studentischen) Unterstützungskräften erteilt wird. Dies entwertet in Teilen die klassische Lehrkräftebildung, da der Eindruck entstehen könnte, dass man die Tätigkeit als Lehrkraft auch ohne spezifische Vorbereitung ausüben kann. Diese Herausforderungen zusammengenommen machen es für Mentor*innen, die einen hohen Wert auf einen systematischen Kompetenzaufbau legen, nicht einfach ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden. Vielmehr können vermehrt strukturelle Herausforderungen auftreten, in denen beispielsweise Schulen von Studierenden die Übernahme von Vertretungsunterricht verlangen bzw. in die andere Richtung kann es vermehrt dazu kommen, dass Studierende ihren Aufgaben im Praktikum nur bedingt nachkommen, weil diese an einer anderen Schule als Vertretungslehrkraft tätig sind.
Die Förderung von Studierenden in schulischen Praxisphasen stellt eine komplexe Aufgabe dar. Immer wieder werden hierbei Zeitmangel und fehlende Ressourcen problematisiert. Welche Tipps haben Sie für Mentor*innen, um diesen institutionellen Rahmbedingungen zu begegnen?
Hier kann ich Mentor*innen in erster Linie raten, innerhalb der jeweiligen Schule auf die besondere Bedeutung einer guten Ausbildungssituation für zukünftige Lehrkräfte hinzuweisen und über Schulleitungen eine entsprechende Entlastung in anderen Aufgabengebieten zu erwirken bzw. nach Mechanismen zu suchen, die im jeweiligen Kontext Wertschätzung ausdrücken. Die Mechanismen für eine individuelle Wertschätzung können dabei ganz unterschiedlich aussehen, z.B. die Möglichkeit zur (vergüteten) Mitarbeit an der Universität, die Entlastungen von anderen Aufgaben, eine öffentliche Würdigung im Kreise der Kolleg*innen, die Möglichkeit zur Teilnahme an Fortbildungen, etc. Solche Maßnahmen werden dabei das verfügbare Zeitbudget jedoch nur in Teilen erhöhen können und der Zeitmangel wird in bestimmten Fällen weiterhin bestehen. Entsprechend rate ich zu einer klaren Struktur und Untergliederung der Aufgaben. Am wichtigsten für eine gute Unterstützung im Praktikum sehe ich regelmäßige Unterrichtsvorbesprechungen an. Diese erfüllen den Zweck mit Studierenden gemeinsam Unterricht – auf der Basis einer Vorabplanung – zu planen und die gemeinsame Unterrichtsdurchführung zu strukturieren. In einer Unterrichtsvorbesprechung kann sich dabei auf wenige Themen konzentriert werden und diese genau in den Fokus genommen werden, beispielsweise: „Was ist die zentrale Lernaufgabe der Stunde? Wie aktiviert diese Lernaufgabe die Schüler*innen kognitiv?“. Die Diskussion über eine solche Frage nimmt die Studierenden ernst und verbessert den Unterricht für Schüler*innen direkt. In einer folgenden Unterrichtsvorbesprechung kann dann – entsprechend den jeweiligen Erfahrungen und der Situation – eine andere Frage im Mittelpunkt stehen, zum Beispiel: „Welche Rituale sollen in der Stunde genutzt werden um die Klassenführung zu verbessern?“ oder „Wie formulieren wir gutes Feedback an Schüler*innen?“. Sowohl für Vor- als auch für Nachbesprechungen bestehen zahlreiche Arbeitshilfen. Wichtig dabei finde ich, dass in einer Struktur gearbeitet wird, die verlässlich ist und Studierende als zukünftige Kolleg*innen ernst nimmt – hierdurch wird die Ko-Konstruktivität zwischen beiden gefördert. Die gemeinsamen Gespräche sollten dabei so aufgebaut sein, dass direkt der Unterricht für die Schüler*innen davon profitiert. Entsprechend würde ich nur wenig Zeit auf Themen verwenden, die nicht beobachtbar sind, nicht in angemessener Zeit veränderbar sind, keinen großen Einfluss auf das Lernen der Schüler*innen haben oder sehr spezifisch für eine konkrete Unterrichtssituation sind.
Was trägt aus Ihrer Sicht zu einer guten Mentoringbeziehung bei?
Eine gute Beziehung zwischen Student*in und Mentor*in ist eine Voraussetzung für die gemeinsame produktive Arbeit. Nur in einer grundsätzlich intakten Beziehung lässt sich vertrauensvoll zusammenarbeiten. Für den Aufbau einer guten Mentoringbeziehung ist gegenseitiges Vertrauen und Respekt unerlässlich. Dies kann dadurch aufgebaut werden, dass Student*in und Mentor*in sich als „Community of Practice“ verstehen und somit gemeinsam Verantwortung für das Lernen der Schüler*innen übernehmen. Die Studierenden haben in diesem Gedanken eine wichtige Funktion und übernehmen ernsthafte Aufgaben, sie sind insofern nicht da, um „sich auszuprobieren“, sondern um Schule zu unterstützen. Sie bringen insofern ihr Wissen und ihre Kompetenz in die „Community“ ein, profitieren jedoch auch von den Erfahrungen der anderen Mitglieder, also insbesondere der Mentor*innen. Sie werden insofern nicht „ins kalte Wasser geschubst“ und sie müssen nicht alleine „vor der Klasse bestehen“. Vielmehr bilden Mentor*in und Student*in ein Team, in dem sie sich für die Schüler*innen einsetzen. In der Praxis kann sich das z.B. durch regelmäßige Besprechungen zum Unterricht; einer auf Ko-Konstruktivität ausgelegten Gesprächspraxis und einer Einbindung in schulische Facetten außerhalb des Unterrichts zeigen.
Vervollständigen Sie bitte aus Ihrer Perspektive die folgenden Satzanfänge:
„Mentorinnen und Mentoren können…“
... für Studierende eine prägende Rolle in der Professionalisierung einnehmen. Daher sollten diese gut ausgewählt, unterstützt und wertgeschätzt werden.
„Studierende sollten in den Praxisphasen…“
... ihre Rolle als Lernende mit Vorwissen ernst nehmen. Sie können bereits vieles in einen gelingenden Unterricht einbringen, gleichzeitig haben sie ein eigenes Professionalisierungsinteresse.
Und zum Schluss: Haben Sie einen „heißen Tipp“ zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema „Mentoring“? Das kann ein Buch, ein Aufsatz, ein Film, ein Interview etc. sein.
Wir haben in unserem Team einige Fallbeispiele zu besonderen Feedbacksituationen im Mentoring bereitgestellt. Die Bearbeitung dieser Fallbeispiele kann zur eigenen Reflexion über das Mentoring anregen und vielleicht findet sich die ein oder andere Person in den Fallbeispielen wieder. Für einen breiteren Überblick empfehle ich unser Praxisbuch „Mentoring in schulischen Praxisphasen“. Gemeinsam als Team zwischen Lehrenden der Universität, Fachseminarleitungen, Mentor*innen und Studierenden haben wir einen ausführlichen Band über eine Vielzahl von Facetten zum Mentoring publiziert. Im Bonusmaterial finden sich Leitfäden und Reflexionstools zum Mentoring. Das Praxisbuch und das Bonusmaterial können kostenfrei über die Verlagswebseite heruntergeladen werden (https://elibrary.utb.de/doi/book/10.36198/9783838555935).
Hier befindet sich der Link zu den angesprochenen Fallbeispielen:
Homann, Hanna-Sophie; Beckmann, Timo; Dede, Claudia; Mansberg, Heidi von (2024): Situationen im Mentoring: Fallbeispiele zu adaptiven Feedbackgesprächen in Praxisphasen. https://doi.org/10.48548/pubdata-213
[https://pubdata.leuphana.de/bitstream/20.500.14123/245/4/Homann_Situationen_im_Mentoring_Fallbeispiele__Feedbackgespraeche__Praxisphasen.pdf]
Das Projekt wird im Rahmen des Programms Schule@Zukunft durch das HMWK gefördert.


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