Konzept und Ablauf der Marburger Schulpraktika

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Konzept und Ablauf der Marburger Schulpraktika

Die Praxisorientierung innerhalb des Lehramtstudiums nimmt eine zentrale Funktion in der Professionalisierung angehender Lehrkäfte ein. Deshalb setzt sich die Marburger Lehrkräftebildung eingehend mit der Frage auseinander, wie man Praxisphasen während des Studiums bestmöglich gestalten und organisieren kann.

Im folgenden Interview gibt Dr. Sven Page (Bild rechts) einen Einblick, wie die Praxisphasen im Marburger Lehramtsstudium weiterentwickelt wurden, was das für die Studierenden im Praktikum bedeutet und inwiefern welche Personen zum Gelingen des Praktikums beitragen. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf den Mentorinnen und Mentoren.
           
Was verbindet Sie mit der Lehrerbildung an der Philipps-Universität Marburg?
Ich habe ursprünglich selbst einmal Lehramt an Gymnasien für die Fächer Geschichte und Mathematik studiert, bin aber nach der Ersten Staatsprüfung nicht ins Referendariat gegangen, sondern an der Universität geblieben. An der TU Darmstadt habe ich mehr als zehn Jahre u. a. Lehramtsstudierende in Geschichte ausgebildet, bevor ich 2019 ans Zentrum für Lehrerbildung an der Philipps-Universität Marburg gewechselt bin.
Seitdem bin ich hier für die Koordination und Weiterentwicklung der Schulpraktika verantwortlich und kümmere mich um die Planung und Steuerung der inhaltlichen, strukturellen und organisatorischen Weiterentwicklung des Studiengangs Lehramt an Gymnasien in Zusammenarbeit mit den lehrerbildenden Fächern sowie den Praktikumsschulen der Philipps-Universität Marburg.
Welche Funktion haben die Praktika im Marburger Lehramtsstudium?
Die Schulpraktika im Rahmen der Marburger Praxismodule sollen den Studierenden bereits während ihres Lehramtsstudiums erste Einblicke in das von ihnen angestrebte Berufsfeld Schule ermöglichen. Während PraxisStart steht zwei Wochen lang die Beobachtung im Fokus, wobei die Studierenden einen Perspektivwechsel vornehmen, der es ihnen ermöglichen soll, die Rolle der Schülerin bzw. des Schülers abzulegen, ohne zugleich nahtlos in die Rolle der Lehrkraft zu schlüpfen – insbesondere, da die Studierenden zu diesem Zeitpunkt (in der Regel findet PraxisStart im dritten Fachsemester statt) erst wenige fachdidaktische Veranstaltungen absolviert haben. In der Rolle der Beobachtenden erkunden die Studierenden Schule und Unterricht im Sinne ‚forschenden Lernens‘ und reflektieren anhand von fragegeleiteten Hospitationen u. a. die facettenreiche Rolle und Kernaufgaben der Lehrkraft im Kontext ihres Berufsfeld.
Im Rahmen von PraxisLab, das als achtwöchiges Blockpraktikum in der Regel im fünften Fachsemester stattfindet, sollen die Studierenden einen umfassenden Einblick in die Schule bekommen und Unterricht als den Ort fachlicher Vermittlungsprozesse verstehen lernen. Sie führen eigene Unterrichtsversuche durch, für die sie in den ProfiWerk-Modulen sowie in den wöchentlichen Begleitveranstaltungen ihrer Fächer vorbereitet wurden. In dieser intensiven schulischen Praxisphase tauchen die Studierenden in das Schulleben ein und erproben sich als angehende Lehrkräfte.
In den letzten Jahren ist in der Marburger Lehrerbildung viel passiert. Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Entwicklungen?
Die Marburger Lehrerbildung hat in den vergangenen Jahren im Rahmen des Projektes ProPraxis der Qualitätsoffensive Lehrerbildung einen erheblichen Umbau erfahren, der nicht nur die Fachlichkeit, sondern auch die Praxisorientierung im hiesigen Lehramtsstudium nachhaltig gestärkt hat. Am deutlichsten schlägt sich dies in der Einführung der Marburger Praxismodule (MPM) nieder, die das Modell der Schulpraktischen Studien (SPS) abgelöst haben. Im Rahmen der MPM durchlaufen die Studierenden ihre Praxisphasen nicht mehr in nur einem Fach, wie dies bei den SPS üblich war, sondern vielmehr mit allen Studienfächern (Bildungswissenschaften, Fach I und Fach II). Die eigentlichen Schulpraktika (PraxisStart, PraxisLab) umfassen 200 Stunden Schulpraxis in insgesamt zehn Wochen und werden darüber hinaus von einer ganzen Reihe von Modulen und Lehrveranstaltungen vorbereitet, begleitet und nachbereitet.
Dadurch widmen die Studierenden in der Summe 42 LP ihres insgesamt 240 LP umfassenden Lehramtsstudiums den Praxisphasen, die sich in Form von sieben Modulen über (min.) drei Semester erstrecken und somit einen deutlichen Anteil ihres Studiums ausmachen. Die enge Verzahnung von Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Bildungswissenschaft und Schulpraxis ist ein Charakteristikum der Marburger Lehrkräftebildung, durch das nicht nur die Aneignung und Übersetzung von (universitärem) Fachwissen in (schulische) Vermittlungssituationen verbessert, sondern auch der Praxis- und Berufsbezug im Lehramtsstudium auf besondere Weise gefördert wird.
Daraus ergibt sich die Frage: Was tun die Studierenden konkret im Praktikum?
Während des zweiwöchigen Beobachtungspraktikums im Rahmen von PraxisStart absolvieren die Studierenden (min.) 50 Stunden in der Schule. Hierbei hospitieren sie in klassischen Unterrichtssituationen, die nicht unbedingt aus dem Bereich ihrer eigenen Studienfächer stammen müssen, und nehmen an außerunterrichtlichen Veranstaltungen (z. B. Arbeitsgruppen, Konferenzen, Projekttage, etc.) teil, insofern dies seitens der Schule möglich ist. Im Zuge ihrer Hospitationen verfolgen die Praktikantinnen und Praktikanten spezifische Beobachtungsaufträge und reflektieren ihre Erlebnisse und Beobachtungen.
Während des achtwöchigen Blockpraktikums im Rahmen von PraxisLab verbringen die Studierenden (min.) 150 Stunden in der Schule, wobei 50 Stunden auf jedes Studienfach entfallen. Neben der Hospitation von Unterricht an den Vor- und Nachmittagen sowie eigenen Unterrichtsversuchen nehmen die Studierenden nach Möglichkeit auch im Zuge dieses Praktikums an außerunterrichtlichen Veranstaltungen (z. B. Arbeitsgruppen, Konferenzen, Projekttage, etc.) teil. Die Präsenz im Lehrerzimmer, die Interaktion mit den Lehrkräften und der Schulleitung wie auch die Begleitung einer Lehrkraft und/oder einer Klasse über einen ganzen Schultag hinweg werden ebenfalls angeregt. Alle Studierenden erhalten im Rahmen von PraxisLab darüber hinaus (min.) einen Unterrichtsbesuch in einem ihrer Studienfächer durch ihre Dozierenden sowie einen sog. Schulbesuch, im Zuge dessen alle Praktikant*innen an einer Schule durch Dozierenden aus der Schulpädagogik besucht und spezifische Aspekte der Schulpraktika (z. B. Fallarbeit, Querschnittsthemen, Schulorganisation) reflektiert werden.
Beide schulpraktischen Phasen werden durch einen Praktikumsbericht abgeschlossen, in dem die Erlebnisse der zurückliegenden Praktika reflektiert werden. Nach dem Abschluss von PraxisLab nehmen die Studierenden zudem an einer interdisziplinären Abschlussveranstaltung teil, bei der sie spezifische Aspekte und Erfahrungen noch einmal aus einer übergeordneten Perspektive mit Kommiliton*innen und Dozierenden anderer Fächer nachbereiten.
Die Grafik enthält den Ablauf der Marburger Praxismodule. Informationen in schriftlicher Form können Sie unter folgendem Link: https://www.uni-marburg.de/de/zfl/studium/praktika/mpm/mpm2018
Fahrplan der Marburger Praxismodule seit dem Wintersemester 18/19
An der Gestaltung und Durchführung der Praxisphasen sind weitere Personengruppen beteiligt: die Dozierenden, die Praktikumsbeauftragten, die Mentorinnen und Mentoren und natürlich Sie als Leiter des Praktikumsbüros. Welche Aufgaben übernehmen diese Personen?
Die verschiedenen Personengruppen übernehmen unterschiedliche, klar definierte Aufgaben rund um das Thema "Praxisphasen". Dabei arbeiten sie wie ein gut eingespieltes Team zusammen und unterstützen sich gegenseitig:
  • Die Dozierenden vermitteln den Studierenden in den Lehrveranstaltungen (insbesondere ProfiPraxis, ProfiWerk und PraxisLab) wesentliche Inhalte und Konzepte ihrer Fächer und geben ihnen die geeigneten Vermittlungsstrategien an die Hand, mit denen die universitären Fachinhalte lerngruppengerecht für Lehrsituationen in der Schule übersetzt werden können.
  • Starten die Studierenden dann in ihre Praktika, so werden sie an jeder Schule von Praktikumsbeauftragten empfangen, die sie mit der Schule vertraut machen, ihnen oftmals Hospitationspläne für die ersten Tage überreichen und bei allen übergeordneten Fragen behilflich sein können.
  • Während des Praktikums selbst stehen den Studierenden Mentorinnen bzw. Mentoren zur Seite, die sie in einem (oft auch beiden) ihrer Fächer inhaltlich betreuen, den eigenen Unterricht für die vorgeschriebenen studentischen Unterrichtsversuche öffnen und auch sonst in allen Fragen rund um das Thema Praktikum als Ansprechpartner*innen zur Verfügung stehen.
  • Das Team des Praktikumsbüros wiederum begleitet die Praxisphasen in administrativer Hinsicht von der Anmeldung bis zur Umsetzung, was, um nur ein paar Beispiele zu nennen, etwa die Durchführung von Informationsveranstaltungen, die Zuteilung zu den Praktikumsschulen, die Entgegennahme von Krankmeldungen sowie die Beantwortung organisatorischer Fragen aller Art beinhaltet – bei Bedarf vermitteln wir auch zwischen den einzelnen Parteien im Konfliktfall, aber in der Praxis kommt das so gut wie nie vor, da die Zusammenarbeit aller Personengruppen wirklich gut funktioniert.
Um noch einmal den Blick auf die Mentorinnen und Mentoren zu lenken: Welche Schwierigkeiten oder Unklarheiten können Ihrer Erfahrung nach im Praktikum aus Sicht von Mentorinnen und Mentoren auftreten und wie kann mit ihnen umgegangen werden?
Mentorinnen und Mentoren leisten während der Praxisphasen die eigentliche Betreuungsarbeit in den Schulen und ganz konkret im Unterricht. Die hiermit einhergehenden Aufgaben sind ebenso vielfältig wie herausfordernd. Aus Sicht des Praktikumsbüros lassen sich die meisten möglichen Unklarheiten in diesem Kontext bereits im Vorfeld durch eine transparente Kommunikation und kooperative Zusammenarbeit aller beteiligten Parteien auflösen, sodass es gar nicht erst zu Schwierigkeiten kommt. Vor jedem Praktikum bieten wir beispielsweise Informationsveranstaltungen an, die oftmals gerade von Lehrkräften genutzt werden, die zum ersten Mal als Mentorin bzw. Mentor tätig sind und allgemeine, zuweilen aber auch sehr konkrete Fragen haben. Das gibt uns wie auch den Mentor*innen die Gelegenheit, einander kennenzulernen und frühzeitig miteinander in Austausch zu treten. Sollten während der Praktika Fragen oder Probleme auftreten, stehen wir den Mentor*innen (ebenso wie den Studierenden, Dozierenden und Praktikumsbeauftragten) gerne zur Verfügung.
Hierbei reicht die Bandbreite der Anfragen von operativen Fragen bis hin zu Austauschbedarf bei Beratungen. Um aber noch einmal auf die Ausgangsfrage einzugehen, unlösbare Probleme oder ernstlich gravierende Konfliktfälle sind, seitdem ich in Marburg tätig bin, noch nicht bei uns eingegangen.
Es wäre auch interessant, zu erfahren, wie viele Personen und Akteure in die Praktikumsphasen (und hier konkret: in PraxisLab) im Durchschnitt involviert sind.
Insgesamt entsenden wir jedes Jahr ca. 750-800 Studierende in die Praktikumsschulen, wobei ca. die Hälfte davon auf PraxisStart entfällt. Im Rahmen von PraxisLab geben die folgenden Zahlen einen genaueren Überblick:
Studierende: ca. 400 Personen pro Studienjahr, die sich zu etwa 2/3 auf das Wintersemester (Okt.-Dez.) und 1/3 auf das Sommersemester (Apr.-Jun.) verteilen
Mentorinnen und Mentoren: alle Studierenden erhalten min. eine*n Mentor*in, aber da hier auch Mehrfachbetreuungen möglich sind, variieren die konkreten Zahlen sehr stark von Durchgang zu Durchgang
Schulen: aktuell bis zu 48 Praktikumsschulen
Dozierende: 25-30 Personen (im Wintersemester bieten stets alle Fächer PraxisLab an, im Sommersemester sind einige Fächer, in denen nur wenige Studierende eingeschrieben sind, nicht dabei)
Und zum Schluss: Haben Sie einen „heißen Tipp“ zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema „Mentoring“? Das kann ein Buch, ein Aufsatz, ein Film, ein Interview etc. sein.
Den Film Herr Bachmann und seine Klasse (2021) kann ich als gelungenes – und ausgesprochen sehenswertes – Beispiel für das Wirken eines Lehrers als Mentor in einer herausfordernden Umgebung jedem wärmstens empfehlen, der sich mit dem Thema Mentoring und Inklusion näher auseinandersetzen möchte.

Tipps zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema "Mentoring"

Speth, Maria (Regie & Produktion) (2021): Herr Bachmann und seine Klasse [Film]. Deutschland: Madonnen Film.

Weitere Informationen

Kontaktdaten

Dr. Sven Page
Referent für Studienorganisation
Leiter des Praktikumsbüros Lehramt an Gymnasien
Tel.: 06421-28-26217
E-Mail: sven.page@uni-marburg.de
             mpm@uni-marburg.de (für alle Anliegen rund um die Marburger Praxismodule)
Adresse: Philipps-Universität Marburg
                Zentrum für Lehrerbildung | ProPraxis
                Raum 01C04
                Deutschhausstraße 12, Eingang Bunsenstraße 2
                35032 Marburg
    


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