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Podcasts zur Ring-VL "Frauen & Macht" im SoSe 2020

Interdisziplinäre Ringvorlesung im Sommersemester 2020 Im Rahmen des Studienprogramms "Gender Studies und feministische Wissenschaft" Themenschwerpunkt: FRAUEN und MACHT

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Im Folgenden finden Sie in chronologischer Reihenfolge die Vorträge der Ring-Vorlesung im Sommersemester 2020 zum Thema "Frauen und Macht".
Für nähere Informationen zu den jeweiligen Titeln, klicken Sie diesen einfach an. Dort haben Sie dann auch die Möglichkeit sich die Vorträge anzuhören, ohne die Datei herunterladen zu müssen.
Bei Fragen schreiben Sie uns gerne eine Mail an genderzukunft@uni-marburg.de
22.04.2020 - Antje Schrupp (Journalistin, Publizistin und freie Autorin, Frankfurt)

Politische Macht, so wie wir sie in Europa kennen, ist historisch ein exklusiv männliches Konzept: Erfunden von Männern für Männer unter explizitem Ausschluss der Frauen. Doch mit der Emanzipation haben Frauen sich den Zugang zur Macht erkämpft – theoretisch jedenfalls. Praktisch sind jedoch viele gesellschaftliche Machtpositionen auch nach vierzig Jahren aktiver Gleichstellungspolitik weiterhin männlich dominiert. So sehr, dass manche sich inzwischen fragen, ob es vielleicht an den Frauen selbst liegt: Mögen sie die Macht am Ende einfach nicht? Diese Frage kann natürlich leicht mit Verweis auf geschlechtsspezifische Sozialisation und hartnäckige Strukturen verneint werden. Vielleicht ist es aber auch lohnend, ihr nachzugehen: Was, wenn wir die Macht gar nicht brauchen, um frei zu sein? Und nicht nur "wir" Frauen, sondern alle Menschen? Wenn Pluralität ohne Hierarchien möglich wäre, und Differenz ohne Krieg? Antje Schrupp plädiert für eine feministische Praxis der Verschiedenheit, in der Assimilation keine Bedingung für Anerkennung ist und Freiheit nicht von „oben“ garantiert werden muss.

CV
Dr. Antje Schrupp, geboren 1964, studierte Politikwissenschaften, Philosophie und Ev. Theologie an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main. 1992 promovierte sie bei mit einer Arbeit über feministische Sozialistinnen im 19. Jahrhundert. Sie ist Journalistin, Publizistin und freie Autorin und beschäftigt sich vor allem mit weiblicher politischer Ideengeschichte. Ihr aktuelles Buch „Schwangerwerdenkönnen. Essay über Körper, Geschlecht und Politik“ erschien 2019 im Ulrike Helmer Verlag.
06.05. Linda Kagerbauer (Sozialpädagogin, Referentin für Mädchenpolitik und Kultur, Frankfurt)

Ausgangspunkt des Vortrages von Linda Kagerbauer sind Forderungen und Erfahrungen von Mädchen* und jungen Frauen* selbst. Mädchen*arbeit wird dabei als ein Feld der Sozialen Arbeit und politischen Bildungsarbeit vorgestellt. Es werden verschiedene Anlässe, Spannungsfelder und intersektionale Widersprüche feministischer Mädchen*arbeit entfaltet. Im Vordergrund steht die Frage, wie das Erleben von Mädchen*in einer individualisierten und neoliberalen Gesellschaft ernst genommen und politisiert werden können. Der Vortrag lädt dazu ein den Blick auf Mädchen als eine kritische Intervention zu verstehen. Linda Kagerbauer zeigt auf, dass ein politisches Verständnis Sozialer Arbeit im Kontext antifeministischer, rechtspopulistischer und rassistischer Vereinnahmungen mehr als angebracht zu sein scheint.

CV
Kagerbauer, Linda, Dipl. Sozialpädagogin, Feministin, politische Bildnerin, Aktivistin, Referentin und Autorin. Vorstand der LAG Mädchen*politik Hessen e.V., Promotionsstudentin im Bereich der feministischen Mädchen_arbeit/Mädchen_politik, Mitbegründerin des ju*_fem_netzes und von lila_bunt- Feministische Praxis, Bildung und Utopie, dem queer_feministischen Bildungshaus in Zülpich. Hauptberuflich im Frauenreferat der Stadt Frankfurt als Referentin für Mädchenpolitik und Kultur tätig. Arbeitsschwerpunkte: Feminismen, Mädchen_arbeit und Mädchen_politik, Generationenverhältnisse, neoliberale Transformationsprozesse, Intersektionalität und Genderpädagogik.

Literatur:
Avemann, Katharina und Kagerbauer, Linda (2019): "Lose hate, not weight“Lookismus und Bodyismus in der Mädchen*arbeit". In: Betrifft Mädchen (ISSN 1438-5295), Ausgabe 02, Jahr 2019, Seite 65-71.
Kagerbauer, Linda und Klinger Sabine (2018): Professionalisierung und Generationenkonflikte im Kontext feministischer Mädchen_arbeit und neoliberaler Soziapolitik. In: soziales_kapital. wissenschaftliches journal österrreichischer fachhochschul-sutdiengänge soziale arbeit 20. Seite 132-148.
Denise Bergold- Caldwel und Linda Kagerbauer: "Ain´t I a woman?!" - Parteilichkeit auf dem Prüfstand. Intersektionale Perspektiven auf Positionen in der feministischen Mädchen*arbeit". In: Betrifft Mädchen (ISSN 1438-5295), Ausgabe 03, Jahr 2017, Seite 110 - 11.
Kagerbauer, Linda (2014): "Verständigung als Politikum! Anforerungen und Herausforderungen an einen Dialog der Generationen in der feministischen Mädchen_arbeit" In: Evelyn Kauffenstein / Brigitte Vollmer-Schubert (Hrsg.): Mädchenarbeit im Wandel: Bleibt alles anders. Seite 54-69. Weinheim
Kagerbauer, Linda / Lormes, Nicole (2014): "Relevanzen intersektionaler, feministischer konfliktorientierter Mädchenarbeit und Mädchenpolitik. Spannungsfelder, Anschlussstellen und Verdeckungen intersektionaler Differenzkategorien im Kontext neoliberaler Diskursstrategien" In: Nicole von Langsdorff (2014): Intersektionalität und Jugendhilfe. Seite 184-211. Opladen
13.05. Helga Krüger-Kirn (Psychoanalytikerin, Erziehungswissenschaft Uni Marburg)

Mutterschaft im Wandel!?
Eine Vielfalt von Familienformen sowie eine fortschreitende Entwicklung der Reproduktionstechnologien haben zu weitreichenden Verschiebungen im diskursiven Feld von Schwangerschaft und Mutterschaft geführt. Eine historische Perspektive auf Mutterschaft zeigt, dass das Verständnis von Mutterschaft schon immer sehr unterschiedlich und eng mit gesellschaftlichen Strukturen verknüpft ist. In dem Vortrag werden daher sowohl gesellschaftliche und sozioökonomische Rahmenbedingungen als auch psychosoziale und geschlechtsspezifische Wirkfaktoren beleuchtet, die in das Konzept von Mutterschaft einfließen. Ziel ist es, über eine Bestandstandaufnahme der Vielfältigkeit normative Wertungen zu dekonstruieren und das (gesellschafts-) kritische Potential von Mutterschaft wie Elternschaft herauszuarbeiten. Dazu wird eine Begriffstrennung von Mutterschaft und Mütterlichkeit als notwendige Voraussetzung vorgeschlagen, um mütterliche/elterliche Versorgungstätigkeiten über Geschlechterpositionen hinaus zu kollektivieren und Mutterschaft als körperbasierte Erfahrung im Kontext von pluralen Begehrensweisen zu denken.

CV
Helga Krüger-Kirn, Prof. Dr. phil., Dipl.-Psych., Psychoanalytikerin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Lehranalytikerin (DGPT) und Weiterbildungsdozentin für analytische Paar-, Familien- und Körper-Psychotherapie. Honorarprofessorin an der Philipps-Universität Marburg. Aktuelle Forschungen zu Mutterschaft und Geschlechterverhältnisse in dem vom BMBF geförderten Projekt KRisE der Geschlechter-VERhältnisSE am Gender Zentrum der Philipps-Universität Marburg, sowie zu Mutterschaft als körperlicher Erfahrung und zu Anti-Feminismus in der Gesellschaft.
20.05. Kirsten Achtelik (Sozialwissenschaft, HU Berlin)

Welche Art von Wissen entsteht durch pränatale Untersuchungen? Wie werden Schwangere adressiert, was erwarten sie selbst? Welche Art von Entscheidungen werden durch die vorgeburtliche Suche nach Beeinträchtigungen erwartet und getroffen? Welches Bild von Behinderung wird hierdurch vermittelt und bestätigt?
Die feministische Forderung nach Selbstbestimmung und reproduktiven Rechten ist angesichts von rechten Angriffen wieder wichtiger geworden. Gleichzeitig gibt es verstärkte Kritik an einer Individualisierung dieser Konzepte und Zweifel daran, wer damit eigentlich gemeint ist. Neue technische Möglichkeiten pränataler Untersuchungen werden von internationalen börsennotierter Firmen in das deutsche Gesundheitssystem geschoben, die Angebote nehmen zu und werden weiter normalisiert. Das Versprechen: Belastung und Leiden sollen vermieden werden.  Die ableistische/behindertenfeindliche Logik der pränatalen Suche nach Beeinträchtigungen des Fötus wird von der Logik der Vorsorge für die Gesundheit des werdenden Kindes verdeckt. Unter komplexen, teilweise undurchschaubaren Bedingungen und im Spannungsfeld von gesetzlichen Ver- und Geboten, medizinischen Paradigmen sowie gesellschaftlichen Diskursen um Selbstbestimmung und Behinderung werden individuelle, rationale und verantwortliche Entscheidungen erwartet, gleichzeitig auch verunmöglicht – die einzelne Schwangere kann eigentlich nicht „richtig“ handeln.
Gibt es das Recht auf ein nicht behindertes, unkompliziertes Wunschkind, mit dem sich Mutterschaft und Erwerbsarbeit möglichst reibungslos verbinden lassen? Sollten Feminist*innen nicht mehr Energie darauf verwenden, für eine inklusive, soziale und geschlechtergerechte Gesellschaft zu streiten als für die Möglichkeit jeder Frau, Behinderung so weit wie möglich aus ihrem Leben herauszuhalten? Ein intersektionaler Feminismus muss dringend neu über das Spannungsfeld zwischen den emanzipatorischen und systemerhaltenden Potenzialen des feministischen Konzepts „Selbstbestimmung“ diskutieren.
03.06. Denise Bergold-Caldwell (ZGS Uni Marburg) & Eleonore Wiedenroth-Coulibaly (Autorin, Aktivistin, Mitbegründerin ISD, Frankfurt)

Schwarze Frauen und vor allem Schwarze lesbische Frauen, sind nicht nur Teil der aktuellen Schwarzen Deutschen Sozialen Bewegungsgeschichte, sondern sie sind und waren ein zentraler Motor dieser Bewegung. Damit sind sie zugleich Teil einer aktivistischen antirassistischen Widerstandsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Diese Geschichte wird jedoch nur wenig genannt und noch weniger werden die Schwarzen Frauen vom Mainstream als Subjekte in diesen Sozialen Bewegungen zur Kenntnis genommen. Der Vortrag nähert sich ihren Perspektiven im Umgang mit Machtverhältnissen, bettet sie in die unterschiedlichen Lebensrealitäten ein und verdeutlicht so, wie Schwarze Frauen in der Vergangenheit und heute immer wieder die Machtfrage gestellt haben – im Handeln wie in der Reflexion gesellschaftlicher Zusammenhänge.
10.06. Gabriele Winker (Sozialwissenschaftlerin, Mitinitiatorin des Netzwerks Care Revolution)

Viele Menschen, insbesondere Frauen, geraten derzeit an die Grenzen ihrer Kräfte. Sie erleben, wie die Anforderungen von Beruf, Haushalt und die Sorge für Kinder und unterstützungsbedürftige Erwachsene zu wenig Zeit für Selbstsorge und Muße lassen. Sie geben sich oftmals selbst die Schuld für all den Stress. Von falschem Zeitmanagement, fehlender Flexibilität und zu geringer Belastbarkeit ist dann die Rede. Was häufig als individuelles Versagen wahrgenommen wird, ist allerdings die Folge politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen. Durch Privatisierungen im Gesundheits- und Altenpflegebereich, Ökonomisierung der Bildungslandschaft und der Sozialen Arbeit sowie neoliberale familienpolitische Regulierungen entsteht ein Mehr an Sorgearbeit in den Familien bei gleichzeitig erhöhter Erwerbsquote von Frauen und zunehmender beruflicher Arbeitszeitflexibilisierung.
Um dieser politisch-ökonomischen Entwicklung entgegenzuwirken, ist es erforderlich, dass gerade diejenigen, die diese Überbeanspruch alltäglich erleben, also insbesondere Frauen, sich zu einer einflussreichen sozialen Bewegung zusammenschließen. Notwendig ist dafür ein grundlegender Perspektivwechsel. In der Strategie der Care Revolution steht die entlohnte und die familiäre Sorgearbeit im Zentrum gesellschaftlicher Transformation. Ziel ist eine solidarische Gesellschaft, die nicht mehr Profitmaximierung, sondern menschliche Bedürfnisse ins Zentrum stellt.
Ihre Gedanken sind ausführlich nachzulesen in ihrem 2015 erschienenen Buch „Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft“. Eine knappe Einführung ist in einem zwölfminütigen Video zu finden: https://www.youtube.com/watch?v=LbVlSxAT5fM
17.06. Monika Schmelter

Maria 2.0 – Frauen an der Basis stehen auf und ermächtigen sich selbst. Sie erheben ihre Stimme und fordern hörbar Veränderungen in ihrer Kirche im Hinblick auf den Umgang mit sexueller Gewalt, die damit einhergehende systematische Vertuschung, die Neubewertung der Sexualmoral und des Zölibats sowie den Zugang von Frauen zu allen (Weihe –) Ämtern. Sie fordern die umfassende Beteiligung an allen Entscheidungsprozessen in ihrer Kirche, sozusagen die volle Gleichberechtigung und Gleichbehandlung in einer geschwisterlichen Kirche, die sich wieder eindeutig und parteilich an der Botschaft und Haltung Jesu orientiert.

Maria 2.0 setzt sich ein für eine Kirche „unterwegs durch die Zeit“ an der Seite von Menschen in Not und an den Grenzen unserer Gesellschaft und befeuert den Dialog zur kritischen Auseinandersetzung über den Klerikalismus und die hierarchische Verfasstheit der Kirche, die ihr Angesicht entfremdet und verdunkelt haben.
Maria 2.0 versteht sich als Graswurzel-Bewegung, die sich durch Netzwerkstrukturen ohne verbindliche Organisation wie ein lebendiger Organismus ausbreitet (ausbreiten wird und bereits ausgebreitet hat).
Maria 2.0 sieht ihre Aufgabe in der Demaskierung fehlgelaufener/– geleiteter Strukturen, die mehr um sich selbst kreisen, als der Botschaft Jesu gerecht zu werden. Die Bewegung ist solidarisch mit den vielen Opfern des Systems, sei es durch sexuellen, spirituellen oder strukturellen Missbrauch. Wir ermutigen Menschen selbstbewusst ihre Stimme zu erheben, ihre eigenen Aktionen vor Ort zu veranstalten und sich zu ermächtigen die Botschaft Jesu zeitgemäß zu verkörpern. Dazu gehört, Missstände ohne Angst zu benennen.
Wir verstehen uns als ein Knoten im Netzwerk aller bereits bestehenden Reformbewegungen.
24.06. Lann Hornscheidt (Freie Forschung und Vorträge, Berlin)

Wie gewaltig ist Sprache? Und bringt es was Sprache zu verändern?
Was hat Sprache mit Geschlecht zu tun und geht es, sich diskriminierungsfrei auszudrücken? Spielt Sprache überhaupt eine Rolle oder muss nicht erst die Realität sich verändern? In dem Vortrag werden diese Fragen anhand von Beispielen illustriert. Es wird diskutiert, welche Rolle Sprache für Geschlechtervorstellungen und einen respektvollen Umgang miteinander spielen kann.
01.07. Mithu Sanyal (Journalistin, Autorin und Kulturwissenschaftlerin)

Die Silvesternacht 2015/16 in Köln, Pussy-Grabbing Kommentare des amerikanischen Präsidenten, #metoo und sexualisierte Übergriffe an Universitäten … Am Thema Vergewaltigung entzünden sich immer wieder erbitterte Debatten, manifestiert sich die Haltung der gesamten Gesellschaft gegenüber gender, sex, Sexualität(en) und race.
Mithu M. Sanyal zeichnet nach, wie über die Jahrhunderte nicht nur Sexualität, sondern auch Gewalt gegendert wurde und betrachtet in diesem Zusammenhang die Rolle, die Rassismus in diesen Verhandlungen spielt. Von Augustinus bis #metoo und #time’s up, über Foucault, feministischen Kämpfe um die Anerkennung von Vergewaltigung bis hin zu Islamfeindlichkeit und den Debatten um Redfreiheit und Identitätspolitik geht Sanyal der Frage nach, wie Vergewaltigung gesellschaftlich verhindert werden kann. Was heißt »Nein heißt nein«? Was heißt »Ja heißt ja«? Und was bedeutet Konsens wirklich?
08.07. Ayşe Güleç (Autorin, forschende Aktivistin, Kassel), Matti Traußneck (Politikwissenschaftler*in, Uni Marburg), Vanessa E. Thomsen (Soziologin und Rassismusforscherin, Frankfurt)

Hanau, Halle, NSU - Intersektionale Perspektiven auf rechten Terror
Nachdem am 19. Februar 2020 neun Menschen[i] bei einem rechten Terroranschlag in Hanau getötet wurden, gab es Entsetzen und Bekenntnisse gegen Rassismus. Der Anschlag in Hanau erfolgte fast genau ein halbes Jahr nach dem antisemitischen, rassistischen und antifeministischen Anschlag in Halle am  9.10.2019, bei dem zwei Menschen[ii] getötet wurden, aber eine wesentlich höhere Tötungsabsicht bestand. In späteren Berichterstattungen zu beiden Taten stand immer wieder die Einzeltäterthese zur Debatte. Geleugnet wurde dabei die historische Kontinuität weißer Vorherrschaft, wie sie sich aus dem Kolonialismus entwickelte und die Kontinuität antisemitischer und rassistischer Taten auch nach dem Nationalsozialismus. Nicht zuletzt am Umgang mit den Morden an neun Menschen [iii], die dem sogenannten NSU zum Opfer fielen, zeigt sich, wie rechter Terror, staatliche Strukturen, sowie die strukturelle Ignoranz und Empathielosigkeit als Ausdruck von Rassismus der gesellschaftlichen Mitte, zusammenkommen und einander bedingen.
Mitte März 2020 reagierte die deutsche Bundesregierung mit einem sog. „Lockdown“ um einer vorschnellen Ausbreitung der Pandemie vorzubeugen und die Anzahl der Menschen die an CoVid-19 erkranken, gering zu halten. Aktivist*innen und Journalist*innen wiesen früh auf den rassifizierten Bias hin, der sich nicht nur in der Vulnerabilität zeigt, sondern auch ein Echo im zentralen Umgang mit der Pandemie findet - ob es um Rassismus im Gesundheitssystem geht oder darum, wer wann von der Polizei angemahnt wird. Deutlich wird das auch am Umgang mit Geflüchteten: sowohl an Europas Außengrenzen, als auch in Heimen für Geflüchtete.
In dem Versuch einerseits über rechten Terror (der auch vor Corona keinen Halt macht) und seine Kontinuität zu sprechen und anderseits über die derzeitige Situation, in der wiederum marginalisierte Menschen zu jenen gehören, die die größten Nachteile haben, wendet sich dieser Online-Round-Table der Frage zu wie intersektionale Perspektiven auf rechten Terror in Zeiten von Corona aussehen. Wir fragen, wie sich rassistische Gewalt (auch von Seiten des Staates) durchzieht, wie sie sich durch Abschottung der Grenzen, durch alltägliche Übergriffe und die Produktion von frühzeitigen Toden (Gilmore), zeigt. Wir fragen, wie weibliche* Akteur*innen in diesen Machtgefügen situiert sind, wenn sie sowohl diejenigen sind, die ihre Körper riskieren, weil sie in ‚systemrelevanten‘ Berufen arbeiten, oder ‚homeschoolen‘, als auch von racial profiling und policing betroffen sind. Mithilfe intersektionaler Perspektiven möchten wir die Komplexität der aktuellen Situation erschließen, um Kontinuitäten herauszuarbeiten und strukturelle Gewaltkomplexe zu thematisieren.
 
[i]  Die Opfer von Hanau heißen: Ferhat Ünver, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nessar El Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu und Vili Viorel Păun. Auch die Mutter des Täters (Gabriele R.) war ein Opfer.
[ii] Die Opfer von Halle heißen: Jana L. und Kevin S.
[iii]    Die Opfer des sogenannten NSU heißen: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşik und Halit Yozgat. Sie waren migrantische Kleinunternehmer. Auch Michelle Kiesewetter (eine Polizistin) wurde durch den NSU umgebracht.