Methodenblatt: Perspectivity - kollaboratives multiperspektivisches Lesen
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Lesen ist häufig ein eher solitärer Vorgang. Typischerweise wird Lektüre für Sitzungen vorbereitet oder nachbereitet. Die meisten Texte werden dabei zum Download bereitgestellt und von einzelnen Studierenden mit unterschiedlichen Lesestrategien bearbeitet.
Die hier vorgestellte Methode stellt eine Möglichkeit dar, mit der Sie den Leseprozess als einen kooperativen Prozess anleiten können, bei der auch der immer wichtiger werdenen Multidisziplinarität ein zentraler Fokus liegt.
Mit Perspectivity können Sie folgende Ziele bei der Durchführung von Leseaufgaben erreichen:
- Gewährleistung der positiven gegenseitigen Abhängigkeit in Lerngruppen und damit einhergehende Integration aller Lernenden in die Aufgabe,
- gezielte Aufgabenstellung für die Lektüre zur Steigerung der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Text,
- Besprechung des Inhalts aus unterschiedlichen Perspektiven entsprechend multidisziplinärer Ansätze,
- Schaffung von Gesprächsanlässen, an denen alle teilhaben können.
Was ist Perspectivity?
Perspectivity ist eine Methode, die sich aus der Methode Book Club ableitet, die im Kontext der Fremdsprachendidaktik schon länger eingesetzt wird[1] und hat Ähnlichkeit mit der Methode des reziproken Lesens.[2] Die Kernidee ist, dass Lernende den gleichen Text lesen, aber unterschiedliche Leseaufgaben bearbeiten, die sich aus einer ihnen zugewiesenen Rolle ergeben. Diese Rollen bilden unterschiedliche Schwerpunkte ab, die durch die Lektüre abgedeckt werden können.
Ablauf
- Lehrende entwickeln den Lernzielen entsprechend Rollen für die Lektüreaufgabe.
- Lernende erhalten Text und ihre Rollenbeschreibung mit Aufgaben.[3]
- Lernende lesen den Text entsprechend ihrer Rolle und bearbeiten die Aufgaben.
- Optionaler Zwischenschritt: Lernende kommen in homogenen Gruppen zusammen und vergleichen ihre Ergebnisse, bevor sie sie in der gemischten Gruppe vorstellen.[4]
- Lernende treffen sich in gemischten Gruppen, in denen jeweils nur eine Person pro Rolle vertreten ist und stellen sich ihre Ergebnisse vor. Je nach Lernstand und Zielsetzung kann hier eine übergeordnete Aufgabe gestellt werden, welche durch die Zusamenführung der Einzelarbeit bearbeitet werden kann.
- Im Plenum moderiert die Lehrperson die Sicherung der Ergebnisse für die gesamte Gruppe entsprechend der Zielsetzung.
Die Rollen
Die Rollen können so vorbereitet werden, dass durch die Methode ein umfangreiches Textverständnis gewährleistet wird oder auch so, dass die Rollen bereits Transferaufgaben beinhalten. Dies wird jeweils vom Text und dem Lernstand der Lerngruppe abhängig sein. Hier sind ein paar Beispiele für mögliche Rollen:
Rollenbeispiele für Textverständnis | Rollenbeispiele für Transferaufgaben | ||
Wortexpert*in |
| Reporter*in oder Forscher*in |
|
Konzept-Artist |
| Berufsausübende*r |
|
Netzwerker*in |
| Politiker*in |
|
Für die Methode gibt es keinen festen Rollenkatalog. Entwickeln Sie für Ihre Zielsetzung und Ihre Lerngruppe Rollen. In einer geübten Gruppe können auch Lernende selbst Rollen für die Methode entwickeln und ausprobieren.
- Durch die verschiedenen Rollen konzentrieren sich Lernende auf ausgewählte Aspekte des Textes.
- So können Lehrende im Vorhinein festlegen, welche Schwerpunkte gesetzt werden sollen und die Lektüre dadurch vorentlasten.
- Durch die unterschiedlichen Rollen, ergänzen sich die Lernenden in der Gruppe und schaffen es in gemeinsamer Arbeit, alle Schwerpunkte abzudecken. Für die Lernenden wird ein unmittelbarer Mehrwert der Arbeit in der Gruppe spürbar und jede Person in der Gruppe ist gefragt, weil jede/r einen anderen Beobachtungsschwerpunkt hatte. Insbesondere für den Sprachunterricht heißt dies auch, dass alle einen konkreten Sprechanlass haben.
- Für die Rollen können unterschiedliche Hilfestellungen erarbeitet werden und Vorlieben der Lernenden berücksichtigt werden, um auch in heterogenen Lerngruppen auf individuelle Lernbedürfnisse eingehen zu können. Im Sprachunterricht kann zum Beispiel durch vorformulierte Satzanfänge eine Entlastung geschaffen werden. Die Rollenbeschreibungen können ferner mit Beispielen versehen werden oder mit hilfreichen Links (z.B. zum bevorzugten Nachschlagewerk)
Digitale Tools zur Unterstützung der Methode
Umsetzung mit ILIAS
Legen Sie für die Methode einen Ordner an, in dem Sie den Text als Datei oder Lernmodul und die Rollenblätter als Inaltsseiten ablegen. Nutzen Sie den Seiteneditor, um im Ordner die Methode zu erklären. Stellen Sie ggf. pro Rolle ein Etherpad bereit, um die Ergebnisse zu sichern. Je nach Gruppengröße kann es auch ratsam sein, Gruppen innerhalb des Ordners anzulegen, die jeweils so viele Mitglieder zulassen, wie es Rollen gibt. So können den Gruppen jeweils die Lernenden zugeordnet werden, die später auch in der gemischten Gruppe zusammenarbeiten sollen. Richten Sie die Rechte für die Gruppenmitglieder so ein, dass sie ihre Ergebnisse hochladen können.
Umsetzung mit Conceptboard
Mit der App Conceptboard können Sie die Rollenkarten jeweils zusammen mit einem Bereich für die Ergebnisse bereitstellen. Der Text kann auf dem virtuellen Whiteboard auch geteilt werden, hier ist jedoch zu beachten, dass PDF-Dateien als Bild eingefügt werden, was große Barrieren schaffen kann und die Leserlichkeit am Bildschirm mitunter sehr beeinträchtigt.
Zur Übersicht: Gestaltung von Lektüreaufgaben
[1] vgl. Henseler, Roswitha. "In book club sdiscussions Leseerfahrungen austauschen." In: Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 107:2010, S. 10-13.
[2] vgl. Wocken, H. (n.d.). Reziprokes Lesen. Texte verstehen durch strategisches Lesen und kooperatives Lernen. Verfügbar unter www.hans-wocken.de/Texte/HW-RLesen.pdf.
[3] Dieser Schritt kann in einem Blended-Learning-Szenario auch in Vorbereitung auf die gemeinsame synchrone Zeit erfolgen.
[4] In diesem Schritt können Lernende ihre Ergebnisse abgleichen und Sicherheit für die Vorstellung in der gemischten Gruppe gewinnen.
[5] Im Falle der Forschenden können hier auch Forschungsfragen entwickelt werden.
[6] In diesem Abschnitt kann man typische Berufsbilder des Studienfachs aufgreifen und Bezüge zur praktischen Berufsausübung herstellen lassen.