Blog zur Lehrveranstaltung Exploratives Schreiben
Sarah Haas: Carpe diem
[winteru] - 5. Okt 2021, 08:42
Und wenn ich nicht daran glaube, dass danach noch etwas ist? Was bedeutet das für mich?
Wenn ich plötzlich weg bin. Alles schwarz. Leer. Still. Ist das dann das Ende? Oder erst der Anfang? Manchmal würde ich es wirklich gerne wissen.
Weil ich neugierig bin. Und weil ich mich an anderen Tagen auch einfach davor fürchte.
Aber wer kann es mir denn schon verdenken?
Als mein Opa gestorben ist, war ich gerade alt genug, um zu verstehen, was er bedeutet, dieser Tod. Ich war gerade alt genug, um zu verstehen, dass ich ihn nie wiedersehen würde. Und ich glaube auch, dass ich es schade fand, weil ich meinen Opa wirklich gemocht habe.
Aber ich war zu klein, um zu realisieren, was das mit meiner Mutter gemacht hat; als er plötzlich nicht mehr da war. Als sie plötzlich ganz alleine sein musste. Als sie wusste, dass es nur noch einen Ort gab, an dem sie ihre Eltern sehen konnte, um mit ihnen zu sprechen, ohne wirklich mit ihnen zu sprechen. Wie schlimm das für sie gewesen sein muss.
Aber für mich war es das nicht. Ich habe mich oft gefragt, warum ich nicht genauso geweint habe wie sie. Warum ich nicht den gleichen Schmerz gespürt habe, der sie innerlich zerrissen haben muss. Und irgendwann dachte ich einfach, dass die Schuld bei mir liegt. Dass etwas falsch mit mir ist. Dass ich herzlos und gefühlskalt bin. Dabei hat es doch eher daran gelegen, dass ich glaubte, dass es Opa nun gut gehen musste. Dass er keine Schmerzen mehr hatte. Denn der eigentliche Grund, warum Menschen weinen, wenn andere Menschen sterben, ist ihre eigene Trauer darüber, sie nie wiederzusehen. Sie weinen darüber, dass die Menschen aus ihrem Leben getreten sind.
Das Schlimme am Tod ist nicht das Gehen an sich, sondern das, was es für die bedeutet, die geblieben sind.
Eigentlich ist es schon fast egoistisch.
Als ich dann älter wurde, hat sich mein Verhältnis zum Tod verändert. Ich habe ihn vermutlich auch etwas romantisiert. Denn es ist nichts weiter als eine romantische Vorstellung, zu glauben, dass es danach noch etwas gibt, das auf einen wartet. Das macht das Ganze für die Hinterbliebenen erträglicher; zu denken, dass der andere irgendwie doch noch da ist. Und so lag ich jeden Abend in meinem Bett und betete, dass meine Großeltern auf mich aufpassen; dass sie mir vom Himmel aus zuschauen und mich nicht verurteilen, wenn ich in der Schule mal gespickt oder sonst etwas getan hatte, das ihnen bestimmt missfallen hätte.
Und irgendwann – ich weiß noch nicht einmal genau wann oder warum – hat sich diese Illusion aufgelöst. Als wäre sie ein rosaroter Ballon, der nicht mehr aufgefüllt werden kann. Und dann war es für mich plötzlich nicht mehr so klar, ob das denn alles so stimmte mit meinen Großeltern und dem Himmel. Immerhin gab es dafür keine wissenschaftlichen Beweise. Die ganzen Erklärungen von denen, die bereits gegangen und wieder zurückgekommen waren, ließen sich für mich auf rein biologische Weise erklären. Denn Fakten sind greifbarer. An Fakten kann man sich festhalten, wenn alles andere um einen herum zusammenbricht. Zumindest scheint das bei mir so zu sein. Aber es ist trotzdem seltsam zu realisieren, dass Menschen wie meine Nachbarin, die man vorher jeden Tag gesehen hat und die kerngesund gewirkt hat, innerhalb von kurzer Zeit einfach nicht mehr da sind. Und man weiß, dass sie auch nie wieder zurückkehren werden.
Wenn ich heute daran denke, was er für mich bedeutet, dieser Tod, dann habe ich gemischte Gefühle. Ich bringe es nicht übers Herz, die Verhältnisse umzudrehen und mir vorzustellen, was passieren würde, wenn meine Mutter nicht mehr da wäre. Wie die Nachbarin. Und wie Opa. Aber es ist anders als damals. Beängstigender. Näher. Bedrückender. Denn jetzt bin ich älter. Jetzt weiß ich, was es heißt, einen Menschen zu lieben. Jemanden zu haben, den man anrufen kann, wenn man gerade nicht weiter weiß. Jemanden, von dem man gesagt bekommt, dass er einen lieb hat, wenn es einem gerade nicht so gut geht. Oder den man um Hilfe bitten kann, wenn man merkt, dass etwas nicht so funktioniert wie gedacht.
Manchmal darf man auch ein wenig egoistisch sein.
Wenn ich also doch darüber nachdenke, dann rufe ich sie an; um ihre Stimme zu hören und ihr zu sagen, wie viel sie mir bedeutet. Und ich beginne zu verstehen, wie sie sich damals gefühlt haben muss. Von einem Tag auf den anderen. Alleine.
Wie ist es also zu sterben? Tut es weh? Oder fühlt es sich erleichternd an? Merkt man es, wenn das eigene Herz stehen bleibt? Oder ist das alles ganz anders?
Ich frage mich, ob es wie bei der Vollnarkose ist, die ich hatte, als sie mir meine Weisheitszähne gezogen haben. Ob man einfach einschläft, ohne es zu merken, nur um dann nie wieder aufzuwachen. Als wäre die Zeit einfach stehen geblieben.
Vielleicht ist das der Grund, warum ich manchmal glaube, dass es leichter ist zu gehen als zu bleiben. Zumindest für ein paar Menschen. Dass es leichter ist, nicht mitzubekommen, wie sehr die anderen leiden.
Aber dann fällt mir wieder ein, dass wir nur ein Leben haben. Dass die, die gegangen sind, nie gewollt hätten, dass wir so sehr um sie trauern. Immerhin bringt es sie nicht wieder zurück, dieses Leid. Es bringt keinen Nutzen. Sondern einzig und allein noch mehr Leid.
Also komme ich jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, wie es ist zu gehen, zu dem Schluss, dass es sinnlos ist, sich Gedanken darüber zu machen. Ich werde nie wissen, wie er ist, der Tod. Zumindest nicht, solange ich lebe. Stattdessen muss ich weitermachen. Weiterleben für die, die es nicht mehr können. Frei nach dem Motto carpe diem.
Wenn ich plötzlich weg bin. Alles schwarz. Leer. Still. Ist das dann das Ende? Oder erst der Anfang? Manchmal würde ich es wirklich gerne wissen.
Weil ich neugierig bin. Und weil ich mich an anderen Tagen auch einfach davor fürchte.
Aber wer kann es mir denn schon verdenken?
Als mein Opa gestorben ist, war ich gerade alt genug, um zu verstehen, was er bedeutet, dieser Tod. Ich war gerade alt genug, um zu verstehen, dass ich ihn nie wiedersehen würde. Und ich glaube auch, dass ich es schade fand, weil ich meinen Opa wirklich gemocht habe.
Aber ich war zu klein, um zu realisieren, was das mit meiner Mutter gemacht hat; als er plötzlich nicht mehr da war. Als sie plötzlich ganz alleine sein musste. Als sie wusste, dass es nur noch einen Ort gab, an dem sie ihre Eltern sehen konnte, um mit ihnen zu sprechen, ohne wirklich mit ihnen zu sprechen. Wie schlimm das für sie gewesen sein muss.
Aber für mich war es das nicht. Ich habe mich oft gefragt, warum ich nicht genauso geweint habe wie sie. Warum ich nicht den gleichen Schmerz gespürt habe, der sie innerlich zerrissen haben muss. Und irgendwann dachte ich einfach, dass die Schuld bei mir liegt. Dass etwas falsch mit mir ist. Dass ich herzlos und gefühlskalt bin. Dabei hat es doch eher daran gelegen, dass ich glaubte, dass es Opa nun gut gehen musste. Dass er keine Schmerzen mehr hatte. Denn der eigentliche Grund, warum Menschen weinen, wenn andere Menschen sterben, ist ihre eigene Trauer darüber, sie nie wiederzusehen. Sie weinen darüber, dass die Menschen aus ihrem Leben getreten sind.
Das Schlimme am Tod ist nicht das Gehen an sich, sondern das, was es für die bedeutet, die geblieben sind.
Eigentlich ist es schon fast egoistisch.
Als ich dann älter wurde, hat sich mein Verhältnis zum Tod verändert. Ich habe ihn vermutlich auch etwas romantisiert. Denn es ist nichts weiter als eine romantische Vorstellung, zu glauben, dass es danach noch etwas gibt, das auf einen wartet. Das macht das Ganze für die Hinterbliebenen erträglicher; zu denken, dass der andere irgendwie doch noch da ist. Und so lag ich jeden Abend in meinem Bett und betete, dass meine Großeltern auf mich aufpassen; dass sie mir vom Himmel aus zuschauen und mich nicht verurteilen, wenn ich in der Schule mal gespickt oder sonst etwas getan hatte, das ihnen bestimmt missfallen hätte.
Und irgendwann – ich weiß noch nicht einmal genau wann oder warum – hat sich diese Illusion aufgelöst. Als wäre sie ein rosaroter Ballon, der nicht mehr aufgefüllt werden kann. Und dann war es für mich plötzlich nicht mehr so klar, ob das denn alles so stimmte mit meinen Großeltern und dem Himmel. Immerhin gab es dafür keine wissenschaftlichen Beweise. Die ganzen Erklärungen von denen, die bereits gegangen und wieder zurückgekommen waren, ließen sich für mich auf rein biologische Weise erklären. Denn Fakten sind greifbarer. An Fakten kann man sich festhalten, wenn alles andere um einen herum zusammenbricht. Zumindest scheint das bei mir so zu sein. Aber es ist trotzdem seltsam zu realisieren, dass Menschen wie meine Nachbarin, die man vorher jeden Tag gesehen hat und die kerngesund gewirkt hat, innerhalb von kurzer Zeit einfach nicht mehr da sind. Und man weiß, dass sie auch nie wieder zurückkehren werden.
Wenn ich heute daran denke, was er für mich bedeutet, dieser Tod, dann habe ich gemischte Gefühle. Ich bringe es nicht übers Herz, die Verhältnisse umzudrehen und mir vorzustellen, was passieren würde, wenn meine Mutter nicht mehr da wäre. Wie die Nachbarin. Und wie Opa. Aber es ist anders als damals. Beängstigender. Näher. Bedrückender. Denn jetzt bin ich älter. Jetzt weiß ich, was es heißt, einen Menschen zu lieben. Jemanden zu haben, den man anrufen kann, wenn man gerade nicht weiter weiß. Jemanden, von dem man gesagt bekommt, dass er einen lieb hat, wenn es einem gerade nicht so gut geht. Oder den man um Hilfe bitten kann, wenn man merkt, dass etwas nicht so funktioniert wie gedacht.
Manchmal darf man auch ein wenig egoistisch sein.
Wenn ich also doch darüber nachdenke, dann rufe ich sie an; um ihre Stimme zu hören und ihr zu sagen, wie viel sie mir bedeutet. Und ich beginne zu verstehen, wie sie sich damals gefühlt haben muss. Von einem Tag auf den anderen. Alleine.
Wie ist es also zu sterben? Tut es weh? Oder fühlt es sich erleichternd an? Merkt man es, wenn das eigene Herz stehen bleibt? Oder ist das alles ganz anders?
Ich frage mich, ob es wie bei der Vollnarkose ist, die ich hatte, als sie mir meine Weisheitszähne gezogen haben. Ob man einfach einschläft, ohne es zu merken, nur um dann nie wieder aufzuwachen. Als wäre die Zeit einfach stehen geblieben.
Vielleicht ist das der Grund, warum ich manchmal glaube, dass es leichter ist zu gehen als zu bleiben. Zumindest für ein paar Menschen. Dass es leichter ist, nicht mitzubekommen, wie sehr die anderen leiden.
Aber dann fällt mir wieder ein, dass wir nur ein Leben haben. Dass die, die gegangen sind, nie gewollt hätten, dass wir so sehr um sie trauern. Immerhin bringt es sie nicht wieder zurück, dieses Leid. Es bringt keinen Nutzen. Sondern einzig und allein noch mehr Leid.
Also komme ich jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, wie es ist zu gehen, zu dem Schluss, dass es sinnlos ist, sich Gedanken darüber zu machen. Ich werde nie wissen, wie er ist, der Tod. Zumindest nicht, solange ich lebe. Stattdessen muss ich weitermachen. Weiterleben für die, die es nicht mehr können. Frei nach dem Motto carpe diem.