Blog zur Lehrveranstaltung Exploratives Schreiben
Ulrich Winter: Der Rupp und das Holz
[winteru] - 5. Okt 2021, 08:31
Der Holzofen wiegt vier Zentner und hat immer schon hier gestanden. Als wir ihn von seinem Podest im Flur zogen, war der Estrich darunter grau und schwarz vor Kohle. Ich rief beim Baudekorateur Weber an, ob er jemanden hätte, der Zementfliesen legen könne, nur knapp einen Quadratmeter, am besten noch bevor in zwei Wochen der neue Ofen kommt. Der Junior war am Apparat, er hatte keine Zeit für so einen kleinen Auftrag, würde aber den Rupp schicken. Der Rupp ist anscheinend beim Weber der Fliesenleger. Der Rupp kam tatsächlich gestern Morgen und am frühen Nachmittag war er mit dem Verlegen fertig. Es sah gut aus, genauso wie ich es mir vorgestellt hatte.
Der Rupp ist beim Weber der Fliesenleger, er ist also einer von der Guten, denn der Weber ist der Baudekorateur, der das halbe Haus renoviert hat: die Fassade verputzt, Wände eingerissen, neue Wände gebaut, hier und da Faserplatten gesetzt. Aber irgendetwas sagte mir gleich, als er gestern kam, der Rupp ist kein richtiger Handwerker. Ich komme nur nicht drauf, was. Vielleicht die Unbekümmertheit, mit der er keine Maske trug, als sei ihm alles egal. Oder seine abgehackte und etwas stottrige Art zu reden, das abrupte Wechseln von Themen, die andererseits alle irgendwie zusammen zu gehören schienen. Vielleicht hatte er mal einen Schlaganfall gehabt. Dabei ist er noch gar nicht so alt.
Als ich gegen zehn am Vormittag in den Flur herunterkam und ihn fragte, ob er auch einen Kaffee wolle, klang sein Sprechen wieder ganz normal, vielleicht war es einfach nur der Zungenschlag aus dem Hinterland. Einen Kaffee brauchte der Rupp nicht, aber er hat mich gleich in ein Gespräch zum Thema Holz verwickelt. Holz ist anscheinend sein Lebensthema. Zuerst wollte er wissen, warum wir den alten Oranier-Ofen entsorgen, der sähe doch noch ganz gut aus. Ich schaute auf den Ofen, der seit ein paar Tagen neben dem Schuhregal stand, er wirkte schwer und erschöpft, und, wie es schien, auch ganz zufrieden, endlich mal zur Ruhe zu kommen, ein Ritter, mit seiner grauschwarzen Rüstung aus Speckstein und den Russrändern überall.
„Er ist undicht“, sagte ich zum Rupp. „Und außerdem: Speckstein sieht irgendwie immer schmuddelig aus.“ Zum Abschluss schob ich noch nach: „Und Holzöfen sind ja leider auch gar nicht so sauber wie man immer gedacht hat.“
Was absurd war, denn wir hatten gerade einen ganz neuen Ofen gekauft, der die nächsten dreißig Jahre hier im Flur stehen und Holz verbrennen würde.
Der Rupp schien kurz nachzudenken und meinte dann, er würde 30 Meter Holz im Jahr machen. Draußen im Hessenforst, wo er ein Stück Wald gepachtet hat. Er bewirtschaftet es im Nebenerwerb. Zusammen mit dem Sohn.
Dreißig Festmeter im Jahr. Das ist ziemlich viel: „Aber jetzt – jetzt ist der ganze Wald kaputt.“
Daran war, laut dem Rupp, der Hessenforst schuld. Und hier begann der Rupp seine Klage über die Geldgier vom Hessenforst. Aber er tat es nicht mit Empörung, sondern ganz leise, resigniert, fast verzagt, wie mir schien. Einen Moment dachte ich sogar, ihm bricht gleich die Stimme. Jahrelang, so ging die Klage, sei es beim Holz nur um Profit gegangen. Monokulturen, soweit das Auge reicht. Fichten, Fichten, Fichten, mal eine Douglasie. Dazu die CO2-Belastung. Dann die Dürre. „Und wenn es nur Monokulturen gibt, kommt der Borkenkäfer.“
Der Rupp machte eine Pause. „Alles, meinte er, „hängt ja mit allem zusammen.“
Ich hatte vor ein paar Tagen zufällig ein Interview zum Thema Rediversifizierung der Waldflora gehört und konnte zum Glück sagen: „Es ändert sich aber gerade etwas in der Mentalität beim Hessenforst“ und erzählte ihm, zur Aufheiterung, die ganze langweilige Geschichte (die ich selbst nur aus zweiter Hand hatte), wie es dazu kam, dass jetzt endlich die Holzpolitik geändert wird.
Aber auch das war absurd, dass ausgerechnet ich es war, der den Hessenforst verteidigte.
Der Rupp hatte jetzt die Kelle aus der Hand gelegt und sein Mobiltelefon aufgemacht. Hier, er hätte mal ein kleines Video gedreht. Da könne man sehen, was gerade los sei im Wald.
Es dauerte einen Moment, bis er seinen Videoclip unter lauter Baumphotos fand. Er tippte ihn an, der Film lief nicht gleich und das Display war auch ziemlich klein, so dass der Rupp mich heranwinkte, ich beugte mich zu ihm, über das Bild, und da fiel mir wieder ein, dass wir ja beide keine Masken trugen. Irgendwie war es jetzt zu spät, etwas dazu zu sagen. Aber vielleicht war das der Grund, warum ich glaubte, er sei kein richtiger Handwerker: Wir hatten das letzte Jahr viele im Haus gehabt, der Rupp war der einzige, der keine Maske trug.
Eine Weile starrten wir schweigend auf den Bildschirm. Dann ein Wirtschaftsweg, Kameraschwenk über die Lichtung, anscheinend die Stelle, wo er mit dem Sohn seine 30 Meter Holz im Jahr macht. Kahlschlag. Kein Wald, nur Boden. Jemand mit einer Kettensäge läuft durchs Bild. Nahaufnahme der Rinde, durchfurcht und zermürbt vom Borkenkäfer. Das Video war nicht professionell gemacht, aber es war auch nicht das allererste das er gedreht hat, ein gewisser Stilwille war erkennbar. Es hatte etwas von einem Ökoaktivisten- Film.
„Das sieht doch aus wie im Krieg“ meinte der Rupp dann zu mir, völlig fassungslos, mit einer Stimme stiller Verzweiflung. „All die zerstörten Bäume.“
Ich schaute ihn betroffen an und versuchte dabei herauszufinden, ob ihm Tränen in den Augen standen, konnte es aber nicht erkennen, irgendwie war ich ihm zu nah. Für einen Moment dachte ich: Vielleicht ist er depressiv geworden, der Rupp, und macht nebenbei Videopodcasts über den Wald um sich von seiner Depression zu erholen. Nur für wen? Die Enkel vielleicht?
Aber was er sagte, stimmte. Genauso sieht es aus: Wie im Krieg, ich denke es auch immer, wenn ich meine Runden durch den Waldpark laufe. Vor ein paar Jahren kam ich an den Waldweg und er war gesperrt. Sechs der zweihundertjährigen Eichen seien gestürzt, hieß es. Die Stadt hatte den Weg eingezogen, der Forst aber einfach weiter gemacht mit der extensiven Waldwirtschaft. Seitdem fallen die Eichen, und alle paar Tage, wenn ich dort laufe, scheinen es mehr zu werden.
Und plötzlich fühlte ich mich dem Rupp nahe, ich glaube, es war wegen seines Vergleichs mit dem Krieg, das hatte etwas Poetisches. Während die Kamera durch diese apokalyptische Landschaft irgendwo im Hessenforst zog, löste sich aus dem Knistern der Zweige leise eine Stimme heraus, die das Video kommentierte. Ich hielt mein Ohr noch näher ans Mobiltelephon, auch der Rupp tat es, obwohl es seine eigene Stimme war, die man hörte, und er wissen musste, was sie sagte, aber er hörte sie jetzt nochmal ab, als dürfte man kein Wort von dem was sie sagt, verpassen und es ginge um Leben und Tod:
„Der ganze Wald. Das ist so schlimm. Wie im Krieg sieht es hier aus.“
Ich sagte immer wieder etwas wie „tja, was soll man machen? Man kann nur im Kleinen selbst etwas tun.“ Irgendwann meinte ich auch:
„Immerhin, wir fahren fast kein Auto mehr, einer der Gründe warum wir direkt in der Stadt wohnen.“
Der Rupp, stellte sich heraus, brauchte natürlich ein Auto. Für seinen Fliesenlegerjob, ist ja klar. Er kommt – wie könnte es anders sein – aus dem Hinterland.
Um etwas Nettes zu sagen, probierte ich es damit:
„Wenn man alle Handwerker, die in den letzten Jahren an diesem Haus mitrenoviert haben – und wahrscheinlich auch die, die in den Jahrhunderten davor mitgemacht haben, – für ein Gruppenphoto versammeln wollte, dann wäre es einfacher, das Haus ins Hinterland zu bringen.“
Dann sagte ich noch witzig hinterher: „Das ginge sogar, es ist ja aus Fachwerk.“
Wie dem auch sei, der Rupp brauchte jedenfalls das Auto für die Arbeit.
Dazu fiel mir nichts mehr ein und als das Video zu Ende war, bat ich ihn eine Maske aufziehen (was jetzt auch absurd war, denn es war zu spät), ließ ihn seine Arbeit beenden und ging weiter in die Küche, meinen Kaffee aufsetzen, und der Rupp machte weiter beim Zuschneiden der Metallschiene für die Kante am Ofenpodest. Mit dem Kaffee setzte ich mich wieder an den Rechner und korrigierte weiter Hausarbeiten.
Der Rupp ist beim Weber der Fliesenleger, er ist also einer von der Guten, denn der Weber ist der Baudekorateur, der das halbe Haus renoviert hat: die Fassade verputzt, Wände eingerissen, neue Wände gebaut, hier und da Faserplatten gesetzt. Aber irgendetwas sagte mir gleich, als er gestern kam, der Rupp ist kein richtiger Handwerker. Ich komme nur nicht drauf, was. Vielleicht die Unbekümmertheit, mit der er keine Maske trug, als sei ihm alles egal. Oder seine abgehackte und etwas stottrige Art zu reden, das abrupte Wechseln von Themen, die andererseits alle irgendwie zusammen zu gehören schienen. Vielleicht hatte er mal einen Schlaganfall gehabt. Dabei ist er noch gar nicht so alt.
Als ich gegen zehn am Vormittag in den Flur herunterkam und ihn fragte, ob er auch einen Kaffee wolle, klang sein Sprechen wieder ganz normal, vielleicht war es einfach nur der Zungenschlag aus dem Hinterland. Einen Kaffee brauchte der Rupp nicht, aber er hat mich gleich in ein Gespräch zum Thema Holz verwickelt. Holz ist anscheinend sein Lebensthema. Zuerst wollte er wissen, warum wir den alten Oranier-Ofen entsorgen, der sähe doch noch ganz gut aus. Ich schaute auf den Ofen, der seit ein paar Tagen neben dem Schuhregal stand, er wirkte schwer und erschöpft, und, wie es schien, auch ganz zufrieden, endlich mal zur Ruhe zu kommen, ein Ritter, mit seiner grauschwarzen Rüstung aus Speckstein und den Russrändern überall.
„Er ist undicht“, sagte ich zum Rupp. „Und außerdem: Speckstein sieht irgendwie immer schmuddelig aus.“ Zum Abschluss schob ich noch nach: „Und Holzöfen sind ja leider auch gar nicht so sauber wie man immer gedacht hat.“
Was absurd war, denn wir hatten gerade einen ganz neuen Ofen gekauft, der die nächsten dreißig Jahre hier im Flur stehen und Holz verbrennen würde.
Der Rupp schien kurz nachzudenken und meinte dann, er würde 30 Meter Holz im Jahr machen. Draußen im Hessenforst, wo er ein Stück Wald gepachtet hat. Er bewirtschaftet es im Nebenerwerb. Zusammen mit dem Sohn.
Dreißig Festmeter im Jahr. Das ist ziemlich viel: „Aber jetzt – jetzt ist der ganze Wald kaputt.“
Daran war, laut dem Rupp, der Hessenforst schuld. Und hier begann der Rupp seine Klage über die Geldgier vom Hessenforst. Aber er tat es nicht mit Empörung, sondern ganz leise, resigniert, fast verzagt, wie mir schien. Einen Moment dachte ich sogar, ihm bricht gleich die Stimme. Jahrelang, so ging die Klage, sei es beim Holz nur um Profit gegangen. Monokulturen, soweit das Auge reicht. Fichten, Fichten, Fichten, mal eine Douglasie. Dazu die CO2-Belastung. Dann die Dürre. „Und wenn es nur Monokulturen gibt, kommt der Borkenkäfer.“
Der Rupp machte eine Pause. „Alles, meinte er, „hängt ja mit allem zusammen.“
Ich hatte vor ein paar Tagen zufällig ein Interview zum Thema Rediversifizierung der Waldflora gehört und konnte zum Glück sagen: „Es ändert sich aber gerade etwas in der Mentalität beim Hessenforst“ und erzählte ihm, zur Aufheiterung, die ganze langweilige Geschichte (die ich selbst nur aus zweiter Hand hatte), wie es dazu kam, dass jetzt endlich die Holzpolitik geändert wird.
Aber auch das war absurd, dass ausgerechnet ich es war, der den Hessenforst verteidigte.
Der Rupp hatte jetzt die Kelle aus der Hand gelegt und sein Mobiltelefon aufgemacht. Hier, er hätte mal ein kleines Video gedreht. Da könne man sehen, was gerade los sei im Wald.
Es dauerte einen Moment, bis er seinen Videoclip unter lauter Baumphotos fand. Er tippte ihn an, der Film lief nicht gleich und das Display war auch ziemlich klein, so dass der Rupp mich heranwinkte, ich beugte mich zu ihm, über das Bild, und da fiel mir wieder ein, dass wir ja beide keine Masken trugen. Irgendwie war es jetzt zu spät, etwas dazu zu sagen. Aber vielleicht war das der Grund, warum ich glaubte, er sei kein richtiger Handwerker: Wir hatten das letzte Jahr viele im Haus gehabt, der Rupp war der einzige, der keine Maske trug.
Eine Weile starrten wir schweigend auf den Bildschirm. Dann ein Wirtschaftsweg, Kameraschwenk über die Lichtung, anscheinend die Stelle, wo er mit dem Sohn seine 30 Meter Holz im Jahr macht. Kahlschlag. Kein Wald, nur Boden. Jemand mit einer Kettensäge läuft durchs Bild. Nahaufnahme der Rinde, durchfurcht und zermürbt vom Borkenkäfer. Das Video war nicht professionell gemacht, aber es war auch nicht das allererste das er gedreht hat, ein gewisser Stilwille war erkennbar. Es hatte etwas von einem Ökoaktivisten- Film.
„Das sieht doch aus wie im Krieg“ meinte der Rupp dann zu mir, völlig fassungslos, mit einer Stimme stiller Verzweiflung. „All die zerstörten Bäume.“
Ich schaute ihn betroffen an und versuchte dabei herauszufinden, ob ihm Tränen in den Augen standen, konnte es aber nicht erkennen, irgendwie war ich ihm zu nah. Für einen Moment dachte ich: Vielleicht ist er depressiv geworden, der Rupp, und macht nebenbei Videopodcasts über den Wald um sich von seiner Depression zu erholen. Nur für wen? Die Enkel vielleicht?
Aber was er sagte, stimmte. Genauso sieht es aus: Wie im Krieg, ich denke es auch immer, wenn ich meine Runden durch den Waldpark laufe. Vor ein paar Jahren kam ich an den Waldweg und er war gesperrt. Sechs der zweihundertjährigen Eichen seien gestürzt, hieß es. Die Stadt hatte den Weg eingezogen, der Forst aber einfach weiter gemacht mit der extensiven Waldwirtschaft. Seitdem fallen die Eichen, und alle paar Tage, wenn ich dort laufe, scheinen es mehr zu werden.
Und plötzlich fühlte ich mich dem Rupp nahe, ich glaube, es war wegen seines Vergleichs mit dem Krieg, das hatte etwas Poetisches. Während die Kamera durch diese apokalyptische Landschaft irgendwo im Hessenforst zog, löste sich aus dem Knistern der Zweige leise eine Stimme heraus, die das Video kommentierte. Ich hielt mein Ohr noch näher ans Mobiltelephon, auch der Rupp tat es, obwohl es seine eigene Stimme war, die man hörte, und er wissen musste, was sie sagte, aber er hörte sie jetzt nochmal ab, als dürfte man kein Wort von dem was sie sagt, verpassen und es ginge um Leben und Tod:
„Der ganze Wald. Das ist so schlimm. Wie im Krieg sieht es hier aus.“
Ich sagte immer wieder etwas wie „tja, was soll man machen? Man kann nur im Kleinen selbst etwas tun.“ Irgendwann meinte ich auch:
„Immerhin, wir fahren fast kein Auto mehr, einer der Gründe warum wir direkt in der Stadt wohnen.“
Der Rupp, stellte sich heraus, brauchte natürlich ein Auto. Für seinen Fliesenlegerjob, ist ja klar. Er kommt – wie könnte es anders sein – aus dem Hinterland.
Um etwas Nettes zu sagen, probierte ich es damit:
„Wenn man alle Handwerker, die in den letzten Jahren an diesem Haus mitrenoviert haben – und wahrscheinlich auch die, die in den Jahrhunderten davor mitgemacht haben, – für ein Gruppenphoto versammeln wollte, dann wäre es einfacher, das Haus ins Hinterland zu bringen.“
Dann sagte ich noch witzig hinterher: „Das ginge sogar, es ist ja aus Fachwerk.“
Wie dem auch sei, der Rupp brauchte jedenfalls das Auto für die Arbeit.
Dazu fiel mir nichts mehr ein und als das Video zu Ende war, bat ich ihn eine Maske aufziehen (was jetzt auch absurd war, denn es war zu spät), ließ ihn seine Arbeit beenden und ging weiter in die Küche, meinen Kaffee aufsetzen, und der Rupp machte weiter beim Zuschneiden der Metallschiene für die Kante am Ofenpodest. Mit dem Kaffee setzte ich mich wieder an den Rechner und korrigierte weiter Hausarbeiten.