Blog zur Lehrveranstaltung Exploratives Schreiben

Maja Klös: Unterwegs mit einem Kescher

[winteru] - 27. Sep 2021, 15:14

Wir suchen sie. Wir finden sie. Wir erschaffen sie. Perfekte Momente. Längere, kürzere und so kurze, dass sie verflogen sind, ehe wir ihnen das Gütesiegel Ich mache das jetzt verleihen können.

Seltsam eigentlich, es ist als würden wir ständig mit einem Kescher bewaffnet versuchen die richtigen Momente einzufangen, als seien es Schmetterlinge. Seltsam eigentlich, der Vergleich mit den Schmetterlingen. Passt er denn? Oder war es der falsche Moment ihn anzuwenden? Ist das vielleicht nicht der richtige Ort, nicht der richtige Zeitpunkt das zu überdenken? Hätte ich ihn rausnehmen müssen? Jetzt habe ich ihn schon drin, jetzt geht es nicht mehr, oder fällt mir etwas anderes ein? Schnell, was fängt man mit einem Kescher außer Schmetterlinge, schnell, lass dir was einfallen, schnell, schreib was hin, schnell –

… verpasst. Weg ist er, der richtige Moment (ich bleibe jetzt einfach bei dem Bild mit dem Schmetterling, wenn du nichts dagegen hast), er hat seine Flügel ausgebreitet und sich mit drei, vier kräftigen Zügen dem Wirkungsbereich meines Keschers entzogen. Da fliegt er, oben im Himmel; ich kann ihm nur noch hinterherschauen und versuchen einen neuen zu fangen. Einen neuen perfekten Moment. Ein neues Jetzt!
Das ist jetzt ungeschickt, so ungeschickt wie mit einem leeren Kescher hin und her zu wedeln, wenn das Ziel schon lange außer Reichweite ist, aber prüfen wir doch noch einmal den Vergleich. Merkst du, dass ich versuche den Moment zu retten? Wie auch immer: Schmetterlinge sind schön und jeder freut sich sie zu sehen. Perfekte Momente? Nicht immer schön, nicht immer angenehm, meistens willkommen, weil man nicht nach ihnen Ausschau hält, wenn man nicht gerade etwas vorhat.

Schmetterlinge sind etwas fragil, oft schreckhaft und flink. Perfekte Momente verfliegen meist so schnell wie sie entstehen: jemand kommt hinzu oder jemand entfernt sich, das Gespräch nimmt eine Wendung, bevor man etwas sagen konnte, etwas kommt einem dazwischen, wenn man etwas tun wollte, manchmal ist es nur ein Parameter, der sich minimal verschiebt und der perfekte Moment hat einen Schreck bekommen und ist weggeflogen.

Könnten wir ohne perfekte Momente leben? Wahrscheinlich. Wahrscheinlich tun wir das sogar ständig. Perfekt ist ein ziemlich eigensinniger Superlativ und woher wissen wir schon mit Sicherheit, ob ein Moment perfekt oder nur gut genug ist? Ist nicht jede Entscheidung etwas zu tun, jedes Jetzt, das unseren Taten grünes Licht gibt, von dieser Grauzone abhängig? Wo kämen wir denn hin, wenn wir ständig abwägen würden, unaufhörlich darauf konzentriert den richtigen Moment zu formen? Nein, wir handeln meistens etwas schneller und entweder ein Schmetterling bleibt in unserem Kescher oder nicht. Und was dann? Wir können sie nicht einmal festhalten, so zart sind sie. Wir können keinen Augenblick konservieren, nein, wir müssen ihn schon ziehen lassen, wenn er fort möchte.

Es ist keine gute Idee, Schmetterlinge zu fangen, vor allem, wenn wir so gut daran tun uns ihrer nur von der Ferne zu erfreuen. Und manchmal, wenn wir dann ganz still sind, besuchen sie uns vielleicht ganz von allein. Da ist er dann – der perfekte Moment.