Blog zur Lehrveranstaltung Exploratives Schreiben
Maja Klös: Ein Veilchen oder eine Medaille
Das letzte Mal war mir warm. Ich glaube es zumindest, ich erinnere mich nämlich daran wie es aussah, als die Sonne auf meine Haut fiel. Der Geruch von Veilchen steigt mir in die Nase während ich mich zu erinnern versuche, aber da ich jetzt daran denken muss, dass die kleinen Blumen drei Tage später verblüht waren, schüttele ich schnell den Kopf und schiebe den Gedanken beiseite. Der Geruch fliegt davon und während ich ihm hinterher schaue, habe ich das Bild eines aufgeschlagenen Buches vor Augen. Es muss mein Lieblingsbuch sein; ein Veilchen liegt auf der Seite. Es ist damals mein Lesezeichen gewesen, das weiß ich noch, und nachdem ich das Buch wieder durchgelesen hatte, ließ ich es auf der letzten Seite liegen. Ein paar Wochen später habe ich das gepresste Blümchen dann rausgeholt und es so, wie es war, in einen Bilderrahmen gelegt. Es steht jetzt direkt neben mir auf dem Tisch und erinnert mich an den Moment. Ob es noch so riecht wie die anderen, die damals noch auf der Wiese blühten? Die Sonne lag so schön auf dem Gras.
Eine Weile bevor sich dies zugetragen hat, rief meine beste Freundin mich an und wir haben mehr gelacht als sonst. Als wir auflegten tat mein Bauch vom Lachen weh wie sonst nur nach dem Sport. Ich musste daran denken wie schön das Training das letzte Mal war und wie zufriedenstellend erschöpft ich danach in mein Bett gefallen bin. Es hat an dem Abend geregnet, ich erinnere mich daran das Fenster zum Schlafen offen gelassen zu haben. Prasseln ist so ein schönes Schlaflied, wenn man nicht fürchten muss nass zu werden.
Dabei mag ich das Wasser so gerne. Ich spüre noch immer das Gefühl einer Welle unter meinem Surfbrett wie, sie mich sanft anhob, ich aufstand und nicht herunterfiel. Das Meer ist kalt gewesen, aber die Freude über diesen Erfolg wärmte mich von innen. Niemand hat es gesehen. Aber das machte mir selten so wenig aus.
Als ich auf der Bühne stand hat mich jeder gesehen. In meinem Kostüm sah ich nicht aus wie ich und mein Text klang nicht nach mir und es war, als hätte ich mich im warmen Licht der Scheinwerfer ganz aufgelöst. Plötzlich saßen nicht mehr meine Eltern und meine Freunde im Publikum, plötzlich war es nicht mein Klassenkamerad, den ich anschrie, er solle seinen Mund nicht wie einen Kreisel drehen, es war, als hätte sich die Realität verändert.
Ähnlich war es, als ich bis ganz nach oben stieg. Ich reichte allen die Hand und am zweiten Platz vorbei stieg ich ganz nach oben. Ich hatte meine Ausrüstung noch an und einen Moment lang dachte ich an mein Ersatzkabel, das ich von dort oben aus, die ganze Halle überblickend, noch an der Bahn liegen sah, an der das Endergebnis in leuchtend grünen Zahlen stand. Ich stellte mir vor, dass der Schrei, den ich bei der roten Lampe ausstieß, noch immer ein Echo in der Halle schlug. Mein Zopf verfing sich in dem Band der Medaille und ich merke wie verschwitzt meine Hand noch war, als meine Finger an der Urkunde klebten, aber da fiel mir auf, dass das wohl dazugehören musste, wenn man ganz nach oben gestiegen war.
Das alles halte ich für Symptome. Das Flattern im Bauch und das Gefühl zu schweben, sich aufzulösen, in einem Moment, in dem alles zu stimmen scheint, als hätte sich eine Prophezeiung bewahrheitet. Es ist als wäre man losgelöst von allem, worüber man sich einst sorgte, denn, wie könnte es Sorgen geben, wenn ich gerade über sie hinwegfliege? Das alles ist nicht real. Es ist die Wirkung des Glücks, das Flattern, das Prickeln, man fühlt sich leicht und warm und sicher. Ich kann das nicht voraussagen, es gibt kein Rezept, keine Anleitung, keine Checkliste für Gegebenheiten, die mich immer glücklich stimmen. Es geschieht; in dem Moment frage ich mich nicht, ob ich glücklich bin, ich bin überflutet von etwas, das mich anhebt, wie eine Welle, es ist so vertraut, dass ich mich auflöse und da es doch so ungewohnt ist alles von oben zu sehen will ich die Hand austrecken und es festhalten. Aber ich kann es nicht festhalten. Ich kann es nicht greifen. Ich kann mein Glück nicht begreifen. Es geht vorbei, die Sonne verschwindet hinter dem Horizont, die Veilchen verblühen, meine Freunde legen auf und der Regen lässt nach. Die Welle bricht oder trägt mich an den Strand, am Ende klatscht das Publikum und ich trete von der Bühne wie vom Podest nach unten. Ich werde mich daran erinnern, wie sich das alles angefühlt hat, zu schweben, ja, es war als würde man schweben. Es wird nie wieder so sein wie damals und mir bleibt nur das, was mich daran erinnert. Ein Veilchen oder eine Medaille. Sie prickeln noch ein wenig, mein Herz flattert noch immer, aber sie bringen mich nicht mehr zum Schweben, nicht richtig. Oder doch? Mir ist gerade, als hebe ich ab…