Blog zur Lehrveranstaltung Exploratives Schreiben
Sarah Haas: Der rosarote Ballon
Wenn angenehm warme Sonnenstrahlen die vom Winter blasse Haut liebkosen, sich das Herz erwärmt und die Kälte sich verzieht. Wenn die Last eines langen, kräftezerrenden Tages durch ein herzhaftes Lachen ganz plötzlich vom Körper abfällt. Wenn man morgens aufwacht, seine trägen Lider aufschlägt und lächelnd zur Seite schaut…
Ist das dann Glück?
Ich weiß es nicht. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob es überhaupt Wörter gibt, die „Glück“ beschreiben können. Es muss gefühlt werden.
Manchmal weiß ich noch nicht einmal, ob ich glücklich bin. Einfach, weil Gefühle so flüchtig sind, dass sie gerade, wenn man sie zu fassen bekommt, wieder verpuffen, als wären sie heiße Luft. Sie machen Platz für das nächste Gefühl. Und das wiederum für das nächste. Und es geht immer weiter… eigentlich ist das Leben nichts anderes als ein Strudel aus sich immer abwechselnden Gefühlen. Sie sind willkürlich, kurzlebig… und manchmal ist man auch ziemlich froh, dass so etwas wie Trauer nicht ewig bleibt. Aber macht nicht genau diese Mischung den Reiz aus? Macht diese Mischung nicht gerade glücklich?
Stellte ich mir vor, dass mein ganzes Leben nur von einer einzigen Emotion bestimmt wäre – und selbst wenn es denn Glück wäre, was auch immer dieses Gefühl sein mag- dann käme ich zu dem Schluss, dass meine Existenz nichts weiter als ein trister Schwarz-Weiß-Film wäre. Alle Ereignisse im gleichen langweiligen Grau, ohne Höhe- oder Tiefpunkte. Das ist wohl die Macht der Gewohnheit. Man stumpft nach einer gewissen Zeit einfach ab.
Also glaube ich, dass Glück gerade von dieser Abwechslung lebt.
Wenn der kleine Eisladen im Dorf immer nur eine einzige Eissorte anbietet und man sich ihrer nach einigen Malen einfach überdrüssig geworden ist; was wäre es für eine Überraschung, wenn auf einmal eine neue Kreation des Besitzers ins Sortiment aufgenommen würde. Es müssen noch nicht einmal zwei verschiedene sein. Es reicht, wenn die eine, die man in und auswendig kennt, durch eine neue ersetzt wird. Und schon ist es da: das Glück.
Aber was ist Glück denn nun?
Stille in meinem Kopf. Eine wirkliche Antwort habe ich also immer noch nicht. An manchen Tagen will ich von anderen Menschen wissen, ob sie glücklich sind. Warum ich das mache? Ich weiß nicht. Ich meine: eine ultimative Formel für Glück gibt es natürlich nicht. Es ist so individuell wie Geschmack oder der eigene Fingerabdruck. Es lässt sich ja auch kaum darüber streiten, ob etwas schön ist oder nicht. Das hängt vom Betrachter ab. Und genauso ist es mit dem Glück: Dinge, die mich glücklich machen, machen nicht zwangsläufig jeden anderen Menschen auf der ganzen Welt ebenso glücklich. Vielleicht frage ich die Menschen einfach, weil es mich interessiert.
Es kommt vor, dass ich das Gefühl habe, glücklich zu sein, weil ich mich innerlich frei fühle und im Jetzt lebe. Ohne einen Gedanken an das Gestern oder das Morgen zu verschwenden. Und im nächsten Moment denke ich darüber nach, was denn mit den anderen Menschen ist, die nicht glücklich sind. Habe ich das Recht, glücklich zu sein, wenn andere unglücklich sind?
Es ist nicht wirklich schlau, mich so etwas zu fragen. Denn dann platzt der rosarote Ballon, nachdem mein schlechtes Gewissen ihm gnadenlos eine fette Nadel ins Herz gerammt hat. So sehe ich vor meinem inneren Auge, wie das Glück hinausgesogen wird, bis der Ballon immer kleiner wird. Und dann muss ich warten, bis es etwas Neues gibt, was ihn wieder auffüllen kann.
Vielleicht kann ich nicht sagen, was Glück ist und was es hervorruft. Aber zu viele Sorgen und Gedanken sind es jedenfalls nicht. Da bin ich mir sicher.
Ich bin keine Person, die ständig unglücklich ist: im Gegenteil. Selbst über die kleinsten Dinge freue ich mich: sei es ein Rätselabend mit Günther Jauch bei Wer wird Millionär?, ein Schokobrötchen, das mir nach einer bestandenen Klausur mit einem breiten Grinsen ausgegeben wird oder auch ein schlechter Witz eines Profs während einer dieser endlos dauernden Videokonferenzen. Ich bin dann glücklich, wenn ich auch einmal albern mit meinem Freund herumtanzen darf, ohne mich dafür schämen zu müssen. Wenn ich Zeit für mich habe, ohne mich ständig zu fragen, ob ich diese Zeit nicht sinnvoller nutzen könnte.
Denn ich glaube, dass genau das für mich Glück bedeutet: Einfach mal etwas zu tun, was keinen tieferen Sinn hat; etwas nicht totzudenken, sondern den Moment voll und ganz zu genießen. Ob das das universelle Glück für alle ist, bezweifle ich stark. Aber ich glaube, dass es so sein kann. Und solange wie es einem dieses wohlige Gefühl im Bauch bereitet. Solange wie man über etwas herzhaft lachen kann. Solange der Ballon noch ganz ist und sich immer wieder mit neuen Gründen dazu füllt. Solange ist es Glück.