Blog zur Lehrveranstaltung Exploratives Schreiben
Maja Klös: Ein schwarzer Strich auf weißem Grund
Aber wie soll ich mich auch nicht einsam fühlen, wenn außer mir niemand da ist? Ich bin schon seit einer Weile allein. Ich war immer gern allein. Allein mit meinen Spielsachen, mit meinen Büchern, allein mit meinem Handy. Aber ich konnte mich immer entscheiden. Ab und zu habe ich mich dazu entschieden, mit meinen Freunden zu spielen, meinen Geschwistern vorzulesen oder meine Oma anzurufen. Jetzt bin ich nur alleine. Ich winke meinen Nachbarn durchs Küchenfenster zu, wenn sie gerade dort sind, ich winke meinen Freunden, wenn ich zufällig an ihren Häusern vorbeifahre. Ich rufe meine Oma an; sie ist allein. Wir sitzen alle im selben Boot, sage ich oft zu ihr, wenn sie traurig darüber ist, allein zu sein. Das ist seit der Beerdigung so, aber jetzt sind wir alle allein. Niemand kann mir etwas Schönes erzählen; weiße Wände säumen unsere Tagebücher. Kein Gesicht, das ich nicht kenne oder das ich kennenlernen könnte. Wir alle sitzen im selben Boot, könnte man meinen, wir haben uns gegenseitig und gegenseitig über Bord geworfen.
Morgens freue ich mich auf den neuen Tag und abends verspotte ich mich dafür. Dann gehe ich schlafen und versuche von meinem Leben zu träumen. Ich träume von weißen Wänden und weißen Gesichtern. Es regnet den vierten Sonntag in Folge, was hätte sie auch bräunen können? Letztes Jahr war der Frühling schöner. Letztes Jahr erinnerte ich mich an die Gesichter meiner Freunde. Ich könnte versuchen sie jetzt an die Wand zu malen damit ich sie jeden Tag sehen kann, aber ich habe keine weiße Farbe mehr und der Baumarkt ist zu.
Öffne ich das Fenster, ist mir, als müsse ich frieren. Nicht weil mir kalt ist, sondern weil ich in einem Buch gelesen habe, dass man im Winde fröstelt. Die Wände meines Hauses sind zu dick, an ihnen kommt kein Wind vorbei, in meinem Zimmer friere ich nicht. Und wenn schon, dann habe ich mich jetzt daran gewöhnt. Von allen Seiten, das müssten vier sein, oder sechs, mit Boden und Decke, wird mir erzählt, was ich jetzt tun sollte. Ich möchte aber gar nichts davon, wenn ich ehrlich bin, denn wenn ich etwas tue, dann werde ich es morgen getan haben. Dann bin ich morgen unglücklich, weil ich mir eine Aufgabe weggenommen habe, die ich hätte erledigen können, wenn ich es nicht bereits erledigt hätte. Ich wünsche es bleiben zu lassen. Ich wünsche aus dem Fenster zu blicken und frierend auf bessere Zeiten zu warten.
Hin und wieder, und dabei scheint es nicht von Bedeutung zu sein wie oft, kommt es vor, dass ich mich fühle, als stecke ich fest. Nun steckte ich zuvor noch nie irgendwo fest, da ich Höhlen, geschlossene Wasserrutschen, hoch frequentierte Straßen und Aufzüge generell zu meiden pflegte, als ich noch die Wahl dazu hatte, aber dennoch glaube ich berechtigt zu sein, über das Gefühl fest zu stecken zu sprechen. Und sollte ich es nicht sein, möchte ich das trotzdem tun.
Ich fühle mich also, als stecke ich fest. Ich kann nicht nach vorne, da ich vor einer Wand stehe (nicht die mit dem Fenster, dort ist es mir bekanntlich zu kalt), aber ich kann auch nicht zurück. Die Tür, aus der ich kam, ist nicht verschlossen, sie ist nicht einmal angelehnt, aber metaphorisch und praktisch kann ich nicht zurück. Wo soll ich auch hin? Ich weiß ja auch gar nicht, wie weit ich zurückmüsste, wenn ich es könnte, um nicht dorthin zu gelangen, wo ich gerade bin. Ich stecke also fest und die Luft wird knapp. Ich bin nicht stark genug, um die Wand einzureißen, vor der ich stehe; wäre ich es, wäre auch die Wand stabiler, also muss ich mich hier zurechtfinden, aber wo soll ich am besten anfangen, wenn alles gleich aussieht? Wenn jeder Tag gleich aussieht, wie eine Zeitschleife, die die Uhr zu sehr fürchtet, als dass sie sie berührt, wenn alle Menschen gleich aussehen, die ich sehe; jeder Tag so gleich ist, dass er selbst Tag für Tag vergisst, dass er sich bereits zugetragen hat. Was tut man dann? Schnappt man sich einen fetten schwarzen Edding und reißt quietschend einen fingerlangen Riss in das Weiß der Wand, wo man einen verstrichenen Tag zu markieren beabsichtigt? Eines Tages wird die ganze Wand geschwärzt sein. Dann ist es fast, als hätte mein Zimmer mit mir darin nie existiert. Aber darüber versuche ich mir keine Sorgen zu machen – bis dahin ist der Edding leer.